Überwachungsstaat a la DDR?
Übermittel per Fax:
Ärger mit dem Staatsanwalt
Gesetzesverstoß durch NLP-Beratung
von David Luczyn
Ein schönes Weihnachtsgeschenk: eine Anhörung zwecks Zwangsgeldverhängung
über 10.000,- DM wegen Verstosses gegen das Heilpraktikergesetz im Wiederholungsfalle.
Und das, obwohl unser Autor niemandem geschadet hat und auch nicht aufgrund
eines Fehlverhaltens angezeigt wurde. Wie kommt es, daß man in Deutschland
so leicht in die Mühlen von Justitia gerät? David Luczyn erzählt
seine Geschichte, die angesichts der Diskussionen um ein Lebensberatungsgesetz
von besonderer Aktualität sind.
So hatte ich mir das eigentlich nicht vorgestellt, als ich vor fünf Jahren
die Ausbildung zum NLP-Practitioner und danach zum Masterpractitioner machte:
daß ich wegen der Ausübung des Gelernten Ärger mit dem Staatsanwalt,
dem Ordnungsamt und dem Gesundheitsamt haben würde. Dabei fing alles ganz
normal und legal an: Aufgrund der guten Erfahrungen mit NLP-Techniken im Ausbildungskontext
und mit Freunden hatte ich vor drei Jahren angefangen, NLP-Sitzungen gegen Bezahlung
anzubieten - nebenberuflich. In einer regelmäßig erscheinenden Anzeige
hatte ich unter anderem mit den Stichworten Phobien und Ängsten geworben,
deren Auflösung ja zu den Standardtechniken im NLP gehören. Was ich
nicht wußte, war, daß man weder mit Symptomen noch mit Erfolgsversprechen
werben darf. Woher auch. Ich bin Diplompädagoge und kein Arzt, Psychologe
oder Heilpraktiker, die in ihrer Ausbildung lernen, daß man dies nicht
darf. In meinen NLP-Ausbildungen habe ich zwar gelernt, wie man Phobien, Ängste
und zwanghaftes Verhalten eliminiert, aber nicht, daß ich das (gegen Bezahlung)
nicht so nennen darf.
Daher hier meine Geschichte zur Warnung an alle nicht legal abgesicherten NLPler
und andere "Lebensberater" und als Hinweis an alle Ausbilder:
Anzeige wegen unlauterer Werbung
Ich war im Urlaub, als mich mein Mitbewohner aufgeregt anrief und mir mitteilte,
ein Mann von der Polizei und ein zweiter vom Gesundheitsamt hätten morgens
unangemeldet vor der Tür gestanden und um Einlaß gebeten. Mit dem
Hinweis, es sei vertraulich, verschafften sie sich Zutritt zu meiner Wohnung,
um meinen Mitbewohner dort darüber aufzuklären, daß eine Anzeige
gegen mich wegen unlauterer Werbung vorliege . Die Anzeige gab es tatsächlich
und sie stammte von einem sogenannten "Forum für kritische
Psychologie" aus München, hinter dem sich, wie ich mittlerweile
weiß, der neuzeitliche Hexenjäger und Psycho/Eso-Großinquisitor
Colin Goldner versteckt. Wo immer ein Verriß über Esoterik
oder neue Psychotherapiemethoden zu lesen ist (Psychologie Heute, Intra, Taz)
oder ein angeblicher Fachmann zitiert wird, ist es oft besagter Colin Goldner.
Seine Artikel zeichnen sich durch Einseitigkeit und Oberflächlichkeit aus,
und sie zielen fast immer unter die Gürtellinie.
Nun denn, er schien jedenfalls der Urheber dieser Anzeige zu sein. Seine typisches
Vorgehen ist offensichtlich, andere (sprich Ordnungsämter und Staatsanwalt)
die Arbeit machen zu lassen und sich selbst hinter einem neutralen Namen zu
verstecken.
Ich kam dieses Mal noch glimpflich davon. Der Mann vom Gesundheitsamt klärte
mich über den Sachverhalt auf, und ich änderte meine Anzeige. Daraufhin
wurde das Verfahren eingestellt. Ich hatte in dieser Zeit sowieso kaum Sitzungen
und vergaß den Vorfall.
Besuch mit Folgen
Sechs Monate später hatte ich einen einzelnen Termin mit jemandem, der
vorgab, ein "zwanghaft kontrollierendes Verhalten"
zu haben. Wie sinnig. In der Tat war dieser jemand ein verdeckter Ermittler
bzw. getarnter Beamter. Ich merkte dies jedoch erst, als mir
an Weihnachten (23. Dezember) ein Brief vom Ordnungsamt ins Haus flatterte mit
einer Anhörung zwecks Zwangsgeldverhängung über 10.000,- DM wegen
Verstoßes gegen das Heilpraktikergesetz im Wiederholungsfalle. Eine nette
Bescherung!
Mein erster Gedanke war: Hallo Deutschland, wo bin ich hier?
Da helfe ich Personen, die selbstverantwortlich und selbständig neue Wege
gehen, selber dafür bezahlen und damit den Krankenkassen Geld sparen, und
dann kommen Beamte, die von unseren Steuergeldern bezahlt werden und verfolgen
diesen freiwilligen Austausch zwischen freien Menschen! Und das nur, weil ein
inzwischen uraltes Gesetz besagt, daß "jede berufs- oder gewerbsmäßig
vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten,
Leiden oder Körperschäden bei Menschen Ausübung der Heilkunde"
sei. Weiter heißt es "Jeder, der eine Krankenvorgeschichte erhebt,
eine Diagnose stellt und Psychotherapie gegen Bezahlung versucht oder macht",
verstößt gegen dieses Heilpraktikergesetz. Das heißt in der
Konsequenz, daß jede Nachfrage nach dem Kontext oder Hintergrund eines
Symptoms oder unerwünschten Verhaltens schon als Anamnese ausgelegt werden
kann - und fast jede NLP-Intervention als Psychotherapie, vor allem wenn man
sie auf eine klassische Angst-, Phobie- oder neurotische Zwangssymptomatik anwendet.
Man bedenke: Ich habe niemandem geschadet, und niemand hat mich aufgrund eines
Fehlverhaltens oder Schadens angezeigt. Allein Mißgunst, Vorurteile und
Gesetzestreue haben diesen Fall ins Rollen und jetzt in die Öffentlichkeit
gebracht. Haben die Polizei und ihre Ermittler nichts Besseres zu tun?
Bekanntschaft mit dem Staatsanwalt
Aber meine Geschichte ist noch nicht zu Ende. Auch mit dem Ordnungsamt konnte
ich mich verständigen. Ein Anwalt riet mir erst zu Einspruch und Widerstand,
ich zog jedoch den Weg der Verständigung vor und rief den Beamten direkt
an. Ich wollte sowieso schon seit längerem den kleinen Heilpraktikerschein
für Psychotherapeuten machen, und das bot ich dem Beamten an. Daraufhin
zog dieser seine Zwangsgelddrohung zurück, wies mich aber darauf hin, daß
erst noch die Entscheidung des Staatsanwaltes abgewartet werden müßte,
bevor er mich zur Prüfung zulassen könne. Der nächste Schock:
wieso Staatsanwalt? Ja, dieser hätte das ganze mit dem Gesundheitsamt zwecks
Nachüberprüfung veranlaßt, und das müßte erst abgeschlossen
sein. Na bravo. So lernte ich auch noch einen Staatsanwalt kennen. Dieser war
jedoch erst einmal gar nicht so freundlich (wohl eine Berufskrankheit) und ließ
mich wissen, daß ich bestraft werden müsse, weil ich gegen das Heilpraktiker-Gesetz
verstoßen habe. Es käme nur noch auf die Einschätzung der Höhe
des Bußgeldes an, in diesem Zusammenhang würde noch ermittelt werden.
Das Finanzamt und die Steuerfahndung hätten diesbezüglich wohl auch
einen Hinweis oder eine Anfrage erhalten. Ob ich meine NLP-Tätigkeit versteuert
hätte, fragte er mich. Ansonsten würde er mir eine Selbstanzeige empfehlen.
Nun, das habe ich Gott sei Dank. Da war ich von Anfang an ganz legal. Als ich
den mittlerweile etwas freundlicher werdenden Staatsanwalt über die Geringfügigkeit
des Anlaßes, meine Unwissenheit bezüglich des gesetzlichen Rahmens
und meine etwas andere Sichtweise vom Ablauf des angeblich therapeutischen Geschehens
darlegte, ließ er durchblicken, daß ich in diesem Falle lediglich
fahrlässig und nicht vorsätzlich gehandelt hätte, und das sei
nicht strafbar. Ich möge ihm dazu eine Stellungnahme schicken. Das tat
ich dann auch.
Regen oder Traufe?
Beim nächsten Telefonat eine Woche später war der Rapport schon etwas
besser. Ich erhielt Antworten auf die möglichen Szenarien und Vorgehensweisen.
Wenn er auf Grund der Aktenlage, der Ermittlungen und meiner Stellungnahme zu
dem Schluß der Fahrlässigkeit käme, würde er das Verfahren
einstellen und ich würde nur ein Bußgeld vom Ordnungsamt bekommen,
welches allerdings genauso hoch ausfallen könne wie sein Strafmaß,
z. B. ein Monatsgehalt. Der einzige Vorteil: Ich wäre nicht vorbestraft.
Also Regen oder Traufe. Langsam regte sich in mir wieder die Lust auf Widerstand,
aber ich blieb erst mal Optimist. Ich bin immer noch von meiner Unschuld überzeugt
und meine, ich habe mich höchstens der Naivität schuldig gemacht,
geschadet habe ich niemandem. Der Gesetzesverstoß war ein künstlich
erzeugter.
Mittlerweile habe ich mich auch noch auf dem Gesundheitsamt schlau gemacht,
was denn ein Lebensberater eigentlich darf und was nicht: Er darf weder Therapie
geben noch Heilung versprechen. Er darf sich nur um Probleme und Verhaltensweisen
kümmern, die kurzfristiger, also aktueller, Natur sind und keine Verbindung
zu einer psychischen oder physischen Krankheit erkennen lassen (d. h. psychosomatische
Probleme zu bearbeiten ist eigentlich nicht möglich, selbst wenn der Klient
es will). Alle Symptome von gravierendem Ausmaß (Asthma, Krebs etc.) sind
tabu. Stößt man bei der Beratung auf traumatische Kindheitserfahrungen
und geht darauf ein, wird es schon kritisch, wenn man es mit der Lupe des Gesundheitsamtes
betrachtet.
Gefahren für die alternative Szene
Man muß auch nicht unbedingt einen Ermittler zu Besuch haben, um Probleme
zu bekommen. Auch ein unzufriedener Klient kann einen anzeigen. Im Kontext des
vieldiskutierten Lebensberatungsgesetztes also eine ganz eigene Art der Beschränkung
nach klassisch legalen Maßstäben, derer sich die meisten alternativ
Arbeitenden gar nicht bewußt sind. Daß daraus eine Strafverfolgung
oder sogar eine Vorstrafe entstehen kann, ist ernüchternd bis schockierend.
Damit rollt auf die Szene ein Problem zu, das bisher immer nur die Geistheiler
hatten. Im Prinzip sind auch alle Reikianbieter und Bachblütenverteiler
betroffen.
Es gibt Menschen, die nutzen jede Gelegenheit, andere anzuzeigen und ihnen das
Leben schwer zu machen. Die Motivationen sind unterschiedlich. Teils wurden
diese Denunzianten (oder fühlen sich) über den Tisch gezogen oder
ausgenutzt, ihnen wurden Versprechungen gemacht, die nicht gehalten wurden oder
es ist schlicht (Futter-) Neid.
Jetzt müssen wir Lebensberater entscheiden, ob wir uns in einen juristischen
Kampf hineinziehen lassen oder ob ein konstruktiv-kritischer Dialog entstehen
kann, der unter anderem eine bessere Selbstregulation bezüglich der schwarzen
Schafe beinhaltet. Jedenfalls ist die Obrigkeit auf uns aufmerksam geworden
- nicht nur wegen antisemitischer und sektiererischer Tendenzen. Für Esoterik
gibt es bei den staatlichen Behörden mittlerweile eigene Abteilungen.
Alles in allem Grund genug, die Ausbildungsrichtlinien der Anbieter alternativer
Heilkünste den legalen Umständen anzupassen und die Kurs- und Ausbildungsteilnehmer
in dieser Sache besser zu informieren.
Nachtrag:
Inzwischen bekam der Autor David Luczyn das Urteil der Staatsanwaltschaft
zugeschickt. Darin heißt es:
Nach den durchgeführten Ermittlungen erscheinen Sie der oben bezeichneten
Straftat hinreichend verdächtig. Die Prüfung des Sachverhalts hat
ergeben, daß Auflagen und Weisungen geeignet sind, das öffentliche
Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen, und die Schwere der Schuld nicht
entgegensteht. Es ist daher beabsichtigt, gemäß § 153a Strafprozessordnung
von der Erhebung der öffentlichen Anklage gegen Sie vorläufig abzusehen,
sofern das Gericht zustimmt und Sie innerhalb einer Frist von 2 Monaten eine
Geldbuße von 500,00 DM zahlen an den...
Wenn Sie zustimmen und diese Auflagen/Weisungen fristgerecht erfüllen,
kann die Tat nicht mehr als Vergehen verfolgt werden.
Kommentar Luczyn: Zähneknirschend angenommen...
Der Autor ist interessiert zu erfahren, ob noch andere ähnliche Erfahrungen
gemacht haben und welche Konsequenzen das hatte.
David Luczyn
Auf dem Mühlberg 50
60599 Frankfurt
Tel: 069/626493
Fax: 069/6031531
E-Mail:DLuczyn@compuserve.com
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David Luczyn, Journalist, Fotograf und Seminarleiter, Autor von Magisch Reisen
Deutschland und dem Esoterikführer