Rechtliche Aspekte
bei Ausübung/Nutzung komplementärer Heilweisen
Dr. Walter
Andritzsky
OEPEN (1985a:26ff) bemerkt, der Arzt/Psychologe/Heiler sei zur Leistung nach
Standard der „ärztlichen Wissenschaft verpflichtet du Therapieversuche
mit ungeprüften Methoden seien nur unter kontrollierten Bedingungen des
klinischen Versuchs zulässig. Bei der Anwendung träfen den Arzt gesteigerte
Sorgfaltspflichten, da er verpflichtet sei, die als am wirksamsten geltende
Behandlungsmethode anzuwenden. Wie HIRTHAMMER (1889:62) betont, ist der Arzt/Psychologe/Heiler
jedoch in der Wahl der Behandlungsmethode frei und an bestimmte schulmedizinische
Diagnose- und Behandlungsmethoden grundsätzlich nicht gebunden (Grundsatz
der Therapiefreiheit), es werde jedoch vom medizinischen/psychologischen Außenseiter
ein sachlicher Grund für die Praktizierung seiner Methoden verlangt. Ferner
bestehe bei der Anwendung unkonventioneller Methoden eine weiterreichende Aufklärungspflicht
über die Methode und die Tatsache, dass der wissenschaftliche Standard
verlassen werde und der Patient aufgerufen ist, in besonderer Weise von seinem
Selbstbestimmungsrecht Gebrauch zu machen.
Aus den insgesamt uneinheitlichen und widersprüchlichen Gerichtsurteilen
zur „Wissenschaftlichkeitsklausel“ seien nur zwei erwähnt:
Das Oberlandesgericht Stuttgart stellte in einem Urteil vom 13.10.1988 fest:
„Allgemeine wissenschaftliche Anerkennung hat eine Behandlungsmethode
dann erworben, wenn sie sich in der Schulmedizin und Praxis so durchgesetzt
hat, dass in der überwiegenden Zahl der Fälle nach statistischer Wahrscheinlichkeit
ein beliebig reproduzierbarer therapeutischer Erfolg erzielt werden kann“.
Das Amtsgericht Wolfsburg vertritt im Urteil vom 11.10.1989 (12 C 257/89) dagegen
die Auffassung, dass die Frage, was wissenschaftlich allgemein anerkannte Untersuchungs-
und Behandlungsmethoden seien, nicht identisch mit der Frage sei, „welche
Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden und Arzneimittel von der Schulmedizin
allgemein anerkannt“ seien.
Mit dem Urteil des Bundesgerichtshofs (AZ IV ZR 135/92) wurde die Wissenschaftlichkeitsklausel
aufgrund ihrer Interpretationsbedürftigkeit und der Tatsache, dass nach
Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO von 30.000 weltweit bekannten Krankheiten
20.000 bisher als unheilbar gelten, schließlich außer Kraft gesetzt
(vgl. auch: ÖKO-Testmagazin 3/94). Aufgrund des Selbstbestimmungsrechtes
des Patienten hinsichtlich seiner eigenen Behandlung und da es nicht angehen
könne, dass zuerst schulmedizinische/-psychologische Methoden ausgeschöpft
sein müssen (z. B. in Fällen, wo es keine erfolgsversprechende schulmedizinische
Methode gibt), wenn alternative Therapien erfolgsversprechend seien, wurde auch
vom Landessozialgericht Niedersachsen (L 4 Kr11/1995) entschieden, dass die
Krankenkasse auch die besonderen Therapierichtungen erstatten müssen. Eine
Methode muss hiernach lediglich den Kriterien der Hufeland-Gesellschaft entsprechen,
nämlich praktisch bewährt, lehr- und lernbar sowie in ihrem Konzept
plausibel sein. Im sog. Amalgam-Urteil des Bundessozialgerichts vom 8.9.1993
(14aRKa7/92) wurde weitergehend entschieden, dass die maßgeblichen Standards
einer Methode nur „therapieimmanent...unter Heranziehung des Denkansatzes,
welcher eines besonderen Therapierichtung zugrunde liegt“, - letztlich
also durch Sachverständige der jeweiligen Methode selbst festgelegt werden
können. Wie NÜCHTERN (1995:438) dazu bemerkt, nähert sich die
Rechtsprechung damit der des Reichsgerichts aus dem Jahre 1931 an, wo entschieden
wurde: „Die allgemeinen oder weitaus überwiegend anerkannten Regeln
der ärztlichen Wissenschaft genießen grundsätzlich keine Vorrangstellung
vor den von der Wissenschaft abgelehnten Verfahren ärztlicher Außenseiter“:
Hinsichtlich der Kostenerstattung bei der Anwendung unkonventioneller Verfahren
durch die Krankenkassen stellte OEPEN (1992) einen Wandel der Rechtssprechung
aufgrund einer Neubestimmung der (inzwischen aufgehobenen, s.o.) Wissenschaftlichkeitsklausel
fest: Bei Krankheiten, die mit schulmedizinischen Mitteln nicht oder nicht befriedigend
geheilt werden können, wurde gerichtlich eine Leistungspflicht der Krankenkassen
festgestellt; zeitlich begrenzte Therapieversuche seinen gerechtfertigt mit
Methoden, deren Wirksamkeit zwar noch nicht gesichert sein, aber nach dem Stand
der medizinischen Wissenschaft für möglich gehalten werden müsse.
Auch das Selbstbestimmungsrecht des Patienten in besonderer Situation wurde
angeführt.
Eine neuerliche Wendung erfuhrt die Rechtssprechung mit dem Urteil des Bundessozialgerichts
vom 16.09.1997 (Az 1 RK 14/96), wonach eine unkonventionelle Methode, die von
den Bundesausschüssen in den NUB-Richtlinien (Neue unkonventionelle Behandlungsmethoden)
als nicht zweckmäßig bewertet wurde, nicht erstattet werden kann.
In den übrigen Fällen dürfen nur solche neuen Methoden abgerechnet
werden, zu denen der Bundesausschuss positive Empfehlungen zum therapeutischen
Nutzen gegeben hat oder – sofern keine Empfehlungen vorliegen –
„sich die Behandlungsweise in der medizinischen (sie: psychotherapeutischen/heilerischen)
Praxis durchgesetzt hat“. Davon sei auszugehen, wenn sie in der Fachdiskussion
eine „breite Resonanz gefunden hat und von einer erheblichen Zahl von
Ärzten (sic: Psychologen/Heilern) angewandt wird. Die Verbreitung einer
Methode kann als Beleg für ihre Zweckmäßigkeit gewertet werden,
weil sich erfolgreiche oder erfolgsversprechende Untersuchungs- und Behandlungsverfahren
über kurz oder lang durchsetzen, während ungeeigneten Therapieansätzen
eine breite Akzeptanz versagt bleibt“ (Tenor mehrerer Urteile, nach: Bundessozialgericht;
Pressemitteilung Nr. 6/97, S. 2).
Diese Maxime der „tatsächlichen Verbreitung“ wirkt nicht nur
angesichts medizingeschichtlicher Irrtümer absurd. Mit der Gleichsetzung
von „Krankenbehandlungsanspruch“ (Leistungsrecht) mit „Leistungsgesetz“
(Leistungserbringungsrecht) (vgl. Parallelurteil Az: 1 RK 28/95 vom 16.9.1997,
S. 23) hat die Funktionärsmedizin einen Sieg über das berufsethisch
einzufordernde Engagement des Arztes/Psychotherapeuten/Heilers errungen: Eine
Einzelfall-Kostenerstattung bei nachweislich erfolgreicher Behandlung mittels
unkonventioneller Heilweise ohne „hinreichende Verbreitung“ kann
danach vom Patienten nicht mehr erfolgreich eingefordert werden.
Erst mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2005
(1 BvR 347/98) betr. eines Patienten, der an der Duchenne´schen
Muskeldystrophie (DMD) litt, entstand erneut eine Erstattungspflicht der gesetzlichen
Krankenkassen für ´lebensbedrohlich´ erkrankte Patienten, für
deren Erkrankung keine schulmedizinisch anerkannte Therapie existiert. Bei der
Methode müsse ´nicht ganz fern liegende Aussicht´ auf einen
Behandlungserfolg oder Besserung bestehen.
Dergestalt eher populistische Fundierung von Methoden und die implizite Abwertung
von Kreativität in der therapeutischen Arbeit verkennt zum einen, dass
sei – von einem in Grundlagenwissen und Praxis erfahrenen Therapeuten
eingesetzt – stets eine Effizienzerhöhung im Dienste des Klienten
anstreben wird und zum anderen, dass „der kreative Mensch bei seinem Vorstoß
ins Unbekannte immer der Mehrheit widerspricht. Kreativität ist oftmals
gleichbedeutend mit sozialer Isolation. ...jede neue Idee macht ihren Erfinder
zur Minorität des Einzelgängers“ (vgl. SAUER 1999:60). Die Forderung
nach „Anerkennung durch die Mehrheit“ würde in Konsequenz jede
praktische Weiterentwicklung psychotherapeutischer Techniken und Settings unterbinden.
Für den Gutacher, der zu einem Erstattungsantrag Stellung nehmen soll,
entstehen zudem aus den verschiedenen Grundannahmen orthodoxer bzw. unkonventioneller
Methoden („zwei Denkwelten“) zu Diagnose, Zumutbarkeit und Zweckmäßigkeit
unüberwindliche Probleme. Treffend folgert NÜCHTERN (1995:441), dass
damit das Selbstverständnis der Gesetzlichen Krankenversicherungen zur
Disposition steht: „Die momentane Entwicklung markiert tendenziell eine
Wendung weg von einer Institution mit Amtcharakter ... in Richtung auf ein Dienstleistungsunternehmen,
das nur die Kosten für vom Patienten gewählte Maßnahmen trägt
bzw. auf seine Mitglieder verteilt, „ähnlich der privaten Krankenversicherung.“
Nicht zuletzt könnte für die künftige versicherungsrechtliche
Behandlung von (unkonventionellen) (Psychotherapie-) Verfahren ihre Klassifikation
eine Rolle spielen: Während z. B. „klassische Naturheilverfahren“
darüber definiert wurden, dass sie „natürliche äußere
Reize“ setzen und die „Selbstregulation“ anregen (z. B. Sonne,
Licht, Luft, Wasser, Erde/Moor etc.), so stellen Methoden wie „Sprache“,
„Atem“, „Musik“, „Tanz“, „Körperarbeit“
in Abgrenzung zur Pharmakopsychotherapie zweifellos auch Naturheilverfahren
dar, zumal sich diese Methodenelemente (psycho-) therapiegeschichtlich bis in
die Anfänge der Kulturentwicklung, z. B. Schamanismus zurückverfolgen
lassen (vgl. ANDRITZKY 1989).
Was die Legalität der Ausübung unkonventioneller (ritueller, religiöser)
Methoden durch Laien angeht, wurde mit dem „Geistheilerurteil“ des
Bundesverfassungsgerichts vom 02.03.2004 (1 BvR 784/03) festgestellt, Methoden
wie Krankensalbung, das Segnen oder das gemeinsame Gebet erweckten kaum den
Eindruck, es handle sich um Ersatz für eine medizinische Behandlung. Wer
rituelle Methoden in Anspruch nehme, gehe einen dritten Weg, setze sein Vertrauen
nicht in die Heilkunde und wählt etwas von einer Heilbehandlung verschiedenes,
wenngleich auch von diesem Weg Genesung erhofft wird. Dies zu unterbinden, ist
nicht Sache des Heilpraktikergesetzes. Es müsse lediglich sichergestellt
sein, dass die Kranken zu Beginn darauf hingewiesen würden, dass eine ärztliche
Behandlung nicht ersetzt würde, z. B. durch Hinweise im Behandlungsraum
oder Merkblätter, die zur Unterschrift vorgelegt werden.
Der Geistheiler hatte seine Tätigkeit so beschrieben: „Er versuche,
die Seele des Kranken zu berühren. Mit Hilfe seiner Hände übertrage
er positive Energien auf das Zielorgan und aktiviere die Selbstheilungskräfte
seiner Klienten. Er erstelle weder Diagnosen noch verschreib er Medikamente
oder verwende medizinische Geräte. Heilungsversprechen gebe er nicht ab.
Er rate den Kranken dringend zu, weiter Hausärzte und Spezialisten zu konsultieren“.