Anmerkung des Synergetik Therapie Instituts: Krankheiten gibt es nicht. Nie hat jemand eine Krankheit gesehen, denn es gibt immer nur kranke Menschen mit ihren Symptomen. (Die Krankheit ist immer ein Geheimnis im Hintergrund!) Die Symptome sind immer der ehrliche direkte Ausdruck des Symptomträgers.
Wir helfen dem Klienten, in sich zu schauen und individuell herauszufinden, was in ihm arbeitet. Die Sprache der Symptome ist immer individuell zu lesen. Synergetik Therapeuten helfen dies zu tun: das Synergetik-Profiling. Doch das Gesundheitsamt Goslar verbietet dies - zum Schutze der Volksgesundheit. Verkehrte Welt? Oder Lobbyisten-Einfluß? Der kranke Mensch ist ein guter Dauerkunde.
Danke an JÖRG BLECH - schön,
das es immer wieder mutige Journalisten gibt, die die Pressefreiheit hoch
halten und den Menschen wichtige Informationen zur Verfügung stellen.
Und Zeitungen, die dies unterstützen!!
TITEL
Die Abschaffung der Gesundheit
Systematisch erfinden Pharma-Firmen und Ärzte
neue Krankheiten. Darmrumoren, sexuelle Unlust oder Wechseljahre - mit subtilen
Marketingtricks werden Phänomene des normalen Lebens als krankhaft dargestellt.
Die Behandlung von Gesunden sichert das Wachstum der Medizinindustrie.
Anfang des 20. Jahrhunderts begann ein Arzt namens Knock damit, den Menschen
die Gesundheit auszutreiben. Der Franzose schuf eine Welt, die nur noch Patienten
kannte: "Jeder gesunde Mensch ist ein Kranker, der es noch nicht weiß."
Knock trat seinen Dienst in einem Bergdorf namens Saint-Maurice an. Die Einwohner
waren wohlauf und gingen nicht zum Arzt. Der verarmte alte Landarzt versuchte
seinen Nachfolger zu trösten und sagte: "Sie haben hier die beste
Art von Kundschaft überhaupt: Man lässt Sie in Ruhe."
Doktor Knock war nicht gewillt, sich damit abzufinden.
Doch wie nur sollte der Neuling die vitalen Menschen in seine Praxis locken?
Was nur sollte er den Gesunden verschreiben? Listig schmeichelt Knock dem Dorflehrer
und bringt ihn dazu, den Einwohnern Vorträge über die Gefahren von
Kleinstlebewesen zu halten. Er engagiert den Dorftrommler und lässt ihn
ausrufen, der neue Doktor lade alle Bewohner zu einer kostenlosen Konsultation
- um die "unheimliche Ausbreitung von Krankheiten aller Art einzudämmen,
die seit einigen Jahren in unserer einstmals so gesunden Region um sich greifen".
Das Wartezimmer füllt sich. In den Sprechstunden diagnostiziert Knock sonderliche
Symptome und bläut den unbedarften Dörflern ein, dass sie seiner ständigen
Betreuung bedürfen. Viele hüten fortan das Bett und nehmen allenfalls
noch Wasser zu sich. Am Ende gleicht das Dorf einem einzigen Hospital. Es bleiben
nur so viele Menschen gesund, wie nötig sind, die Kranken zu pflegen. Der
Apotheker wird ein reicher Mann; ebenso der Wirt, dessen Gasthof als Notlazarett
allzeit ausgelastet ist.
Knock blickt abends begeistert auf ein Lichtermeer ringsum: Es sind 250 hell
erleuchtete Krankenstuben, in denen - wie vom Doktor verordnet - 250 Fieberthermometer
in die dafür vorgesehenen Körperhöhlen geschoben werden, sobald
es zehn schlägt.
Der Dreiakter "Knock oder der Triumph der Medizin" feierte 1923 in
Paris eine rauschende Premiere. In den folgenden vier Jahren wurde das Stück
des französischen Schriftstellers Jules Romains 1300-mal aufgeführt,
später mehrfach verfilmt, und es wird bis heute an Schulen gezeigt. Das
Theater des Doktor Knock ist nicht totzukriegen - seine bühnenreife Medizin
wird im echten Leben fortgeschrieben. Sie handelt davon, wie gesunde Menschen
in Patienten verwandelt werden.
An die Stelle des verführerischen Dorfarztes jedoch ist eine ungleich größere
Macht getreten, den Menschen die Gesundheit auszutreiben: die moderne Medizin.
Ärzteverbände und Pharma-Firmen, häufig von Patientengruppen
unterstützt, predigen eingangs des neuen Jahrhunderts eine Heilkunst, die
keine gesunden Menschen mehr kennt.
Um das enorme Wachstum der früheren Jahre beibehalten zu können, muss
die Medizinindustrie immer häufiger auch Gesunde medizinisch traktieren.
Global operierende Pharma-Konzerne und international vernetzte Ärzteverbände
definieren die Gesundheit neu: Natürliche Wechselfälle des Lebens,
geringfügig vom Normalen abweichende Eigenschaften oder Verhaltensweisen
werden systematisch als krankhaft umgedeutet. Pharmazeutische Unternehmen sponsern
die Erfindung ganzer Krankheitsbilder und schaffen ihren Produkten auf diese
Weise neue Märkte.
Der Begriff "Sisi-Syndrom" beispielsweise tauchte 1998 erstmals auf:
in einer einseitigen Werbeanzeige des Unternehmens SmithKline Beecham. Die betroffenen
Patienten sind dem Konzern zufolge depressiv und gegebenenfalls mit Psychopharmaka
zu behandeln. Allerdings überspielten sie ihre krankhafte Niedergeschlagenheit,
indem sie sich als besonders aktiv und lebensbejahend gäben. Das Syndrom
werde nach der österreichischen Kaiserin Elisabeth ("Sisi") benannt,
da sie den Patiententypus wie ein Urbild verkörpere. Seither hat das Schlagwort
die Medien erobert und wird von Psychiatern propagiert: Inzwischen wird die
Zahl der am Sisi-Syndrom erkrankten Deutschen bereits auf drei Millionen geschätzt.
Der Psychiater Markus Burgmer, 35, und Kollegen des Uniklinikums Münster
entlarvten das Volksleiden kürzlich als Erfindung der Industrie. Ihre Auswertung
der Fachliteratur hat offenbart, dass das Krankheitsbild als "wissenschaftlich
nicht begründet" anzusehen ist. Die Medienpräsenz des Sisi-Syndroms,
darunter ein lanciertes Sachbuch zum Thema, gehe vielmehr zurück auf Wedopress,
eine PR-Firma in Oberursel, die von dem Pillenhersteller beaufragt worden war.
Wedopress selbst rühmt sich heute, für die "Einführung einer
,neuen' Depression" ein "Trommelfeuer" in den Medien ausgelöst
zu haben. Das Fazit der PR-Agentur lautet: "Das Sisi-Syndrom ist etabliert
als besondere Ausprägung der Depression, akzeptiert von Medizinern und
Patienten."
Die Firmen Jenapharm und Dr. Kade/ Besins Pharma wiederum versuchen gegenwärtig,
eine Krankheit bekannt zu machen, die angeblich Millionen von Männern im
besten Alter heimsucht: das Aging Male Syndrome - die Menopause des Mannes.
Die Unternehmen haben Meinungsforschungsinstitute, PR-Unternehmen, Werbeagenturen,
Medizinprofessoren und Journalisten in Gang gesetzt, um die Wechseljahre des
Mannes als ernst zu nehmende und weit verbreitete Erkrankung bekannt zu machen.
Auf Pressekonferenzen wurde "der schleichende Verlust" der männlichen
Hormonproduktion beklagt. Anlass für die Kampagne war die Marktreife zweier
Hormonpräparate, die seit Frühjahr 2003 in Deutschland zu kriegen
sind.
"Es ist schlau und auch ein bisschen gemein, Leute davon zu überzeugen,
dass sie etwas haben, von dem sie bisher gar nicht wussten, dass es existiert",
sagt Jacques Leibowitch, Arzt im Krankenhaus Raymond Poincaré nahe Paris.
Die Ausweitung der Diagnosen in den Industriestaaten hat ein groteskes Ausmaß
angenommen. Etwa 30 000 verschiedene Seuchen und Syndrome, Störungen und
Krankheiten wollen Ärzte beim Homo sapiens ausgemacht haben. Für jede
Krankheit gibt es eine Pille - und immer häufiger für jede neue Pille
auch eine neue Krankheit. Im Englischen hat das Phänomen schon einen Namen
bekommen: "disease mongering" - das Handeln mit Krankheiten.
Krankheitserfinder verdienen ihr Geld an gesunden Menschen, denen sie einreden,
sie wären krank. Ob soziale Phobie, Internet-Sucht, erhöhter Cholesterinspiegel,
larvierte Depression, Übergewicht, Menopause, Prä-Hypertonie, Weichteilrheumatismus,
Reizdarmsyndrom oder erektile Dysfunktion - medizinische Fachgesellschaften,
Patientenverbände und Pharma-Firmen machen in nicht enden wollenden Medienkampagnen
die Öffentlichkeit auf Störungen aufmerksam, die angeblich gravierend
sind und viel zu selten behandelt werden.
Im Ruhrgebiet sind "zwei Drittel der über 45-Jährigen infarktgefährdet",
berichtet die "Ärzte Zeitung". Mehr als drei Millionen Bundesbürger
leiden am chronischen Erschöpfungssyndrom (Chronic Fatigue Syndrome), behauptet
die in Düsseldorf erscheinende "Medical Press" - und fügt
verschämt hinzu: "ohne Gewähr". Die Gesellschaft für
Ernährungsmedizin und Diätetik in Aachen geht noch weiter: "Die
in Deutschland lebenden Menschen sind alle von einem Vitaminmangel betroffen",
verkündet sie schlicht.
Jeder fünfte Familienvater, sonst immer zuverlässig und geduldig mit
den Kindern, erkranke einmal im Leben am soeben entdeckten "Käfig-Tiger-Syndrom",
beteuern der münstersche Professor für Allgemeinmedizin Klaus Wahle
und die PR-Firma Medical Consulting Group. Auf Grund bislang unerkannter, spezifischer
Verstimmungen könnten die Papas "sich nicht mehr gut entscheiden,
hadern ununterbrochen mit allem und jedem. Wie ein eingesperrter Tiger im Käfig".
In solchen Fällen könnten Psychopharmaka und Extrakte aus Johanniskraut
"für einen wieder ausgeglichenen Haushalt der Botenstoffe" im
väterlichen Hirn sorgen.
51 Prozent im Volke leiden unter "Refluxsymptomen mit Beeinträchtigung
der Lebensqualität", verkündet eine Allgemeinärztin aus
dem bayerischen Rödental - sie meint Sodbrennen. Genau 822 595 Menschen
mit Hyperhidrose will die private Kölner Klinik am Ring in Deutschland
gezählt haben: Die Betroffenen schwitzen - angeblich so stark, dass sie
medizinischer Hilfe bedürfen.
Auch deutsche Rentner auf Mallorca sind reif für den Inseldoktor: Trotz
- oder vielleicht gerade wegen - schönster äußerer Umstände
mache ihnen die "Paradies-Depression" zu schaffen. Dieses Leiden will
der im sonnigen Spanien praktizierende Psychotherapeut Eckhard Neumann beobachtet
haben.
Ähnlich bedrohlich mutet die "Leisure Sickness" an, die pathologische
Unfähigkeit zum Müßiggang. Ad Vingerhoets von der Universität
im niederländischen Tilburg meint, drei Prozent der Bevölkerung würden
durch Freizeit krank. Die Symptome reichen von Müdigkeit über Kopf-
und Gliederschmerzen bis zu Erbrechen und Depressionen. Ferienorte sind zu meiden,
weil die Seuche dort besonders heftig grassiert.
Selbst die Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht wird von den Ärzten
wie ein körperliches Leiden behandelt. Firmen wenden sich an die Mädchen,
beispielsweise in kostenlosen Zeitschriften, die beim Frauenarzt ausliegen.
"Fragen Sie bei der Terminvergabe nach der Teenie-Sprechstunde", rät
das Blättchen "Women's Health", das laut Impressum mit "exklusiver
Unterstützung der Grünenthal GmbH" erscheint. Im Editorial heißt
es: "Der Gynäkologe wird zum Begleiter in allen Lebensphasen, und
nicht selten legt er mit seinen Patientinnen eine Lebensstrecke gemeinsam zurück
- von jungen Jahren bis ins Alter."
Sämtliche Umbruchphasen im Leben einer Frau sind längst in medizinische
Probleme umdefiniert: Die meisten werdenden Mütter in Deutschland gelten
als risikoschwanger, und die Zahl der Kaiserschnitte auf Wunsch steigt. Jedes
Jahr werden rund 160 000 Gebärmütter entfernt - wobei Experten zufolge
mindestens 60 000 dieser Eingriffe überflüssig sind. Die Tage vor
der Regelblutung ("prämenstruelles Syndrom") und natürlich
die Wechseljahre wurden medikalisiert: Jede vierte Frau über 40 schluckt
in Deutsch-land Östrogenpräparate, obwohl ein Nutzen wissenschaftlich
nicht erbracht werden kann.
Ist eine erfundene Krankheit erst einmal im öffentlichen Bewusstsein angekommen,
zahlen Patienten und Krankenkassen wie selbstverständlich für die
entsprechenden Medikamente und Therapien. Auch die aktuelle Reform des Gesundheitswesens
versäumt es, mit dem Erfinden von Krankheiten aufzuräumen - einer
legal abgesicherten Ausbeutung der Sozialversicherung, aber auch leichtgläubiger
Selbstzahler steht nichts im Weg.
Während die ausufernden Kosten das Gesundheitssystem überfordern,
laufen die Geschäfte der Pharma-Industrie glänzend. Im allgemeinen
Krisenjahr 2002 wuchsen die Gewinne der zehn größten Pharma-Unternehmen
abermals um ansehnliche 13 Prozent. Für das Marketing gibt die reiche Branche
mehr Geld aus als für die Forschung. Ein Drittel der Erlöse und ein
Drittel des Personals setzt Big Pharma ein, um Arzneimittel auf dem Markt zu
platzieren.
Zug um Zug werden dabei Krankheiten aufgebauscht oder schlicht ausgedacht. "Die
Marketingleute jazzen das immer hoch. Das ist doch der natürliche Enthusiasmus",
erklärte Fred Nadjarian, Geschäftsführer der Firma Roche in Australien
gegenüber dem "British Medical Journal". Ende der neunziger Jahre
wollte Roche sein Antidepressivum Aurorix vermarkten, das gegen die soziale
Phobie helfen soll, eine vorgeblich krankhafte Form der Schüchternheit.
Eine von Roche gesponserte Pressemitteilung behauptete, mehr als eine Million
Australier litten unter dem "die Seele zerstörenden" Syndrom,
das mit Verhaltenstherapie und Arzneimitteln zu behandeln sei.
Angesichts des großen Marktes rieb sich Nadjarian schon die Hände
- doch dann bekamen er und seine Leute nicht einmal genügend Testpersonen
für die klinischen Studien zusammen. Die soziale Phobie war weit seltener,
als die Roche-Mitarbeiter zunächst sich selbst und anschließend der
Öffentlichkeit eingeredet hatten. Diese Pleite offenbare ein Problem der
Pharma-Branche, räumt Nadjarian ein - nämlich den Hang zur Übertreibung.
"Wenn Sie die ganzen Statistiken zusammenzählen", so der Manager,
"dann müsste ein jeder von uns ungefähr 20 Krankheiten haben.
Viele dieser Sachen werden völlig übertrieben dargestellt."
An dieser Masche stören sich etliche Ärzte. Hermann Füeßl
vom Bezirkskrankenhaus Haar etwa beklagt in dem Fachblatt "MMW": Die
Verbreitung "von Problemen wird durch epidemiologisch fragwürdige
Untersuchungen ins Gigantische gesteigert, um dem Betroffenen aufzuzeigen, dass
er sich in 'bester Gesellschaft' befindet".
Ärzte, besonders die Spezialisten, erreichen einen besseren Status, gewinnen
an Einfluss und verdienen mehr Geld, wenn ein neues Territorium für die
Medizin erobert wird. Professoren deutscher Universitäten steigen wie selbstverständlich
als Meinungsbildner für die Pharma-Industrie in den Ring. Diese "Mietmäuler"
(Branchenspott) streichen für einen Vortrag oder einen Auftritt auf einer
Pressekonferenz Honorare in Höhe von 3000 bis 4000 Euro ein und machen
offen Werbung für die entsprechenden Krankheiten und die dazu passenden
Produkte.
"Wenn es keine Krankheit gibt, dann gehen die Pharma-Firmen pleite",
sagt Carlos Sonnenschein, Hormonexperte an der Tufts University in Boston. "Die
Tragödie der Wissenschaft liegt darin, dass Mediziner bereit sind, ihre
Expertise zu verkaufen, um den Interessen der pharmazeutischen Firmen zu dienen."
Ausgerechnet medizinische Gesellschaften sind vielfach eine enge Liaison mit
der Industrie eingegangen. Martina Dören, Professorin für Frauengesundheit
an der Freien Universität in Berlin, kritisiert: "Durch die in aller
Regel dünne, auf Mitgliederbeiträgen beruhende finanzielle Ausstattung
wissenschaftlicher Fachgesellschaften hat es sich leider etabliert, dass Kongresse
ohne substanzielle finanzielle Unterstützung pharmazeutischer Firmen nicht
mehr existieren können."
Die allermeisten Daten zur Volksgesundheit werden im Auftrag von privaten Unternehmen
und Kliniken erhoben und von Public-Relations-Agenturen an die Medien geliefert.
Die Zahlen beruhen bestenfalls auf Stichproben und werden hochgerechnet auf
das ganze Volk. Häufig genug aber geht die behauptete Verbreitung einer
Krankheit nur zurück auf beliebige Schätzungen.
Kein Misstrauen regte sich, als der Psychologe Alexander Dröschel aus Saarlouis
im vorigen Jahr gegenüber der Deutschen Presse-Agentur verkündete,
zwischen Stralsund und Konstanz litten rund eine Million Kinder an einer psychiatrischen
Krankheit, dem Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS).
Seine Aussage wurde in ganz Deutschland verbreitet, eine konkrete Quelle dafür
vermochte Dröschel nicht anzugeben: "Es kursieren die unterschiedlichsten
Zahlen. Da habe ich eine aus dem mittleren Bereich herausgegriffen." An
Dröschels öffentlicher Spekulation finden einschlägige Pharma-Firmen
Gefallen: Sie halten Psychopillen für zappelige Kinder bereit, damit diese
in Familie und Schule besser funktionieren, als die Natur sie geschaffen hat.
Aggressiv buhlen sie um die jungen Patienten.
Die Firma Novartis mit Sitz in Nürnberg hat sogar ein Bilderbuch zum Thema
ADHS herausgebracht. Das Pharma-Märchen erzählt die Geschichte des
Kraken Hippihopp, der "fürchterlich ausgeschimpft" wird, weil
er "überall und nirgends ist" und ihm viele Missgeschicke passieren.
Glücklicherweise erkennt Doktorin Schildkröte, was Hippihopp hat:
"ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom"! Und sie weiß auch, was
er braucht: "eine kleine weiße Tablette".
Zu den Firmen, die sich den Markt selbst erfinden, gehört das Jenaer Unternehmen
Biolitec. "Neuer Trend in der kosmetischen Chirurgie - erfolgreicher Einsatz
von Biolitec-Lasern bei Vagina-Verjüngung" meldete die Firma vor einem
Jahr. Es seien "bereits erste Kliniken in Deutschland und Österreich
dazu in der Lage, die Form der Vagina entscheidend zu verbessern und ein jugendliches
Aussehen wiederherzustellen, so dass unter anderem auch das Lustempfinden der
behandelten Frauen deutlich gesteigert werden kann".
Für den behaupteten Zuwachs an Designerscheiden fehlte freilich jeder Beleg.
Auf die Nachfrage, welche Ärzte denn Vaginen per Laser aufhübschten,
nannte die beauftragte PR-Firma, die Financial Relations AG in Frankfurt am
Main, zwar die Telefonnummern zweier Schönheitskliniken in Bad Reichenhall
und Heidelberg. Wie sich herausstellte, konnte sich jedoch in beiden Häusern
niemand erinnern, Scheiden verschönert zu haben. Die PR-Firma wollte dennoch
nicht von ihrer Aussage abrücken und trieb nach vielen Tagen einen Chirurgen
auf, der in Wien praktizierte. Der Mann habe "Erfahrung mit kosmetischer
Schamlippenkorrektur und bestätigt den Trend".
Der Handel mit Krankheiten kennt fünf Spielarten, wie sie der australische
Kritiker Ray Moynihan und zwei Ärzte beschrieben haben:
• Normale Prozesse des Lebens werden als medizinisches Problem verkauft. Nachdem beispielsweise die Firma Merck & Co. ein Mittel gegen Haarausfall entdeckt hatte, startete die globale PR-Agentur Edelman eine Kampagne. Sie fütterte Journalisten mit Studien: Ein Drittel aller Männer habe mit Haarausfall zu kämpfen. Zudem habe man herausbekommen, dass der Verlust des Kopfhaares zu Panik sowie emotionalen Schwierigkeiten führe und die Aussichten verringere, im Bewerbungsgespräch einen Job zu bekommen. Was man nicht erfuhr: Die Studie wurde von Merck & Co. gesponsert, und die medizinischen Experten, die den Journalisten die Zitate diktierten, hatte Edelman aufgetan.
• Seltene Symptome werden als grassierende Krankheiten dargestellt. Seit der Einführung der Potenzpille Viagra breitet sich die Impotenz erstaunlich aus. Auf einer Internet-Seite des Viagra-Herstellers Pfizer heißt es: "Erektionsstörungen sind eine ernst zu nehmende und häufige Gesundheitsstörung: Ungefähr 50 Prozent der Männer zwischen dem 40. und 70. Lebensjahr sind davon betroffen." Der Hamburger Urologe Hartmut Porst, einer der führenden Potenzforscher in der Welt, hält diese pauschale Aussage für heillos übertrieben: "Völliger Unfug."
• Persönliche und soziale Probleme werden in medizinische Probleme umgemünzt. In der Nervenheilkunde gelingt die Umwandlung der Gesunden in Kranke besonders gut, zumal "es keinen Mangel an Theorien gibt, nach denen fast alle Menschen nicht gesund sind", wie der Hamburger Arzt Klaus Dörner spottet. Entsprechend rasant hat sich die Zahl der seelischen Leiden in den offiziellen "Klassifikationssystemen" vermehrt. Im Katalog der amerikanischen Veteran's Administration waren nach dem Zweiten Weltkrieg gerade einmal 26 Störungen notiert. Das jetzt gültige "Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders" (DSM-IV) der Vereinigung der amerikanischen Psychiater zählt 395 verschiedene Leiden auf.
• Risiken werden als Krankheit verkauft. Indem Normwerte für Messgrößen wie Cholesterin und Knochendichte herabgesetzt werden, wächst der Kreis der Kranken. Das Jonglieren mit Risikofaktoren wird in den nächsten Jahren eine ungekannte Beschleunigung erfahren: durch die kürzlich abgeschlossene Entschlüsselung des menschlichen Genoms. Fast im Wochentakt werden inzwischen Gene entdeckt, die Krankheiten im späteren Leben auslösen oder begünstigen; darunter womöglich künftig auch "Krankheitsgene", die angeblich zu sozial unerwünschtem Verhalten beitragen. Für die Ethiker Jacinta Kerin und Julian Savulescu wird die Auffassung von Gesundheit dadurch entscheidend verändert: "In diesem Sinne wird die Genetik uns die Sichtweise ermöglichen, dass wir alle in irgendeiner Hinsicht 'krank' sind."
• Leichte Symptome werden zu Vorboten schwerer Leiden
aufgebauscht. Das Reizdarmsyndrom etwa geht mit einer Fülle von Symptomen
einher, die jeder schon einmal gespürt hat und die viele als normales Rumoren
im Darm ansehen: Schmerzen, Durchfall und Blähungen. Die diffusen Beschwerden
treten vor allem bei Frauen auf und wurden bisher den psychosomatischen Erkrankungen
zugerechnet.
Erst mit der Verfügbarkeit einer Arznei erwachte das Interesse der Industrie
an der angeblichen Krankheit. Was in solch einer Phase in der abgeschotteten
Pharma-Welt abläuft, dringt nur selten nach außen. Umso aufschlussreicher
ist jenes vertrauliche Papier, dessen Inhalt voriges Jahr im "British Medical
Journal" veröffentlicht wurde.
Es handelt sich um einen geheimen Strategieentwurf der PR-Firma In Vivo Communications.
Ein auf drei Jahre angelegtes "medizinisches Erziehungsprogramm" sollte
demnach den Reizdarm vom Ruch der psychosomatischen Störung befreien und
als "glaubhafte, häufige und richtige Krankheit" darstellen.
In dem Konzept der PR-Leute ging es um das Marketing für das Medikament
Alosetron (in den USA: Lotronex) des Konzerns GlaxoSmithKline in Australien.
Das erklärte Ziel des Schulungsprogramms: "Das Reizdarmsyndrom muss
in den Köpfen der Doktoren als bedeutsamer und eigenständiger Krankheitszustand
verankert werden." Auch die Patienten "müssen überzeugt
werden, dass das Reizdarmsyndrom eine weit verbreitete und anerkannte medizinische
Störung ist".
Um skeptische Hausärzte zu überzeugen, empfiehlt In Vivo Communications
die Veröffentlichung von Artikeln in führenden Medizinzeitschriften,
wobei Interviews mit den Meinungsbildnern besonders wichtig seien. Deren Auftritt
sei "von unschätzbarem Wert", um die Informationen "klinisch
gültig" erscheinen zu lassen.
Auch Apotheker, Krankenschwestern, Patienten und eine medizinische Vereinigung
sollten mit Werbematerial eingedeckt werden. Ein "Programm zur Patientenunterstützung"
schließlich solle sicherstellen, dass die Herstellerfirma bei den Verbrauchern
"die Dividende der Treue einstreichen kann, wenn das Medikament des Konkurrenten
auf den Markt kommt".
Die größte Phantasie beim Ersinnen neuer Krankheiten legen zweifellos
die Psychiater an den Tag. Seuchenhaft breiten sich Wahn und Irrsinn in Deutschland
aus, was nicht nur den Stand der Nervenärzte und der Psychotherapeuten
in Lohn und Brot hält, sondern auch pharmazeutischen Firmen glänzende
Geschäftsbilanzen beschert. Die Aufklärungsfeldzüge der Industrie
zielen auf milde seelische Beeinträchtigungen, die einen großen Personenkreis
betreffen könnten. Aufmüpfigen Kindern beispielsweise wird dann ein
Leiden namens "oppositionelles Trotzverhalten" attestiert.
Auch die Aufnahme der "prämenstruellen Dysphorie" in die Hitliste
der Seelenleiden hat die Klientel der Psychiater merklich vermehrt; nun dürfen
sie das angeblich weit verbreitete Frauenleiden behandeln - gegebenenfalls mit
Psychopharmaka. Für diesen Markt hat die Firma Eli Lilly ein altbekanntes
Produkt recycelt. Nachdem das Patent für den Pillenbestseller Prozac abgelaufen
war, vermarktet das Unternehmen dieselbe Substanz nunmehr unter dem Namen Sarafem:
als Pille gegen das schwere prämenstruelle Syndrom. Die Psychiater treten
auf diese Weise in Konkurrenz zu Frauenärzten - die doktern mit Hormonpräparaten
am gleichen Phänomen herum.
Finanzielle Verbindungen gerade zwischen Psychiatern und Pharma-Firmen sind
in Deutschland gang und gäbe. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie,
Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) beispielsweise lässt sich von
Unternehmen wie Astra Zeneca, Aventis Pharma Deutschland, Lilly, Novartis Pharma
und Organon "unterstützen". Die von Firmen gesponserten "Presse-Infos"
weisen die Öffentlichkeit auf immer neue Psycho-Leiden hin. So war im September
2002 zu lesen: "Depressionen, Angsterkrankungen, Süchte - so heißen
die neuen Zivilisationskrankheiten."
Das kommt manchen Nervenärzten merkwürdig vor. "Die Methoden
zur Vermarktung von Informationen haben sich bis zu dem Punkt entwickelt, an
dem die Denkart der Ärzte und der Öffentlichkeit innerhalb weniger
Jahre bedeutsam verändert werden kann", urteilt der britische Psychiater
David Healy. "Dass die Verbreitung von Störungen um das Tausendfache
steigt, scheint die Ärzte und die Öffentlichkeit nicht zu überraschen."
Viele der "neuen Leiden der Seele", wie sie der Baseler Psychiater
Asmus Finzen nennt, sind indessen nichts anderes als Wechselfälle des normalen
Lebens. Eigenbrötelei wird aufgebauscht zur "antisozialen Persönlichkeit".
Die natürliche Trauer hat ebenfalls Eingang in die Psychiatrie gefunden:
als "Anpassungsstörung".
Für das Heer der angeblichen Psycho-Patienten hält die Industrie eine
reichhaltige Auswahl an Medikamenten bereit. Antidepressiva, vor allem die selektiven
Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI), von denen Prozac das bekannteste Beispiel
ist, sind zu Modedrogen gegen Schwermut, Traurigsein und Angst geworden. Die
Prozac-Kapseln (in Deutschland als Fluctin auf dem Markt) erhöhen die Menge
des Serotonins im Gehirn und heben auf diese Weise die Stimmung. Serotonin ist
ein wichtiger Botenstoff im Gehirn, der Gefühle wie Stolz und Selbstwertgefühl
beeinflusst.
Ursprünglich für die Behandlung schwerer Depressionen gedacht, werden
SSRI in den westlichen Ländern heute gegen einen bunten Strauß von
Störungen verschrieben, die es vor Jahren noch gar nicht gab: generalisierte
Angststörung, Panikstörung, Zwangsstörung etwa oder akute Stressstörung.
Der amerikanische Verbraucherschützer Arthur Levin sagt: "Die Symptome
sind so breit und vage, dass beinahe jeder sagen könnte: Mensch, das bin
ja ich!"
Seitdem klar ist, dass SSRI und andere Pharmaka bestimmte Facetten des menschlichen
Verhaltens verändern, werden diese Züge und Stimmungen systematisch
medikalisiert. Vor allem die "Angst" hat Begehrlichkeiten der Pillenhersteller
geweckt. Anfang 2002 arbeiteten sich 27 verschiedene Substanzen durch die Entwicklungspipelines
der Industrie, die allesamt als Mittel gegen Angststörungen vermarktet
werden sollen.
Gern werden Syndrome erfunden, die sich an bereits anerkannte Krankheiten anlehnen.
Im Dunstkreis der Depression wollen Ärzte und Industrie beispielsweise
einen Zustand ausgemacht haben, den sie "Dysthymie" nennen. "Müde,
niedergeschlagen, voller Selbstzweifel - wer hat nicht manchmal Phasen, in denen
die ganze Welt grau in grau erscheint?", fragt die Deutsche Gesellschaft
für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde und behauptet: Für
bis zu 3,3 Millionen Deutsche sei die eingetrübte Gefühlswelt ein
Dauerzustand und werde "viel zu selten als Krankheitsbild erkannt und entsprechend
behandelt". Der Volksmund ruft den Dysthymie-Patienten bei seinem angestammten
Namen: Miesepeter.
"Manche Psychiater treiben ihre Diagnosen in der Tat so weit, dass am Ende
wir alle etwas haben", sagt Psychiater Finzen, der die Angaben zur Verbreitung
der seelischen Krankheiten aus dem Katalog DSM-IV einmal addiert hat: Demnach
leiden zu jedem beliebigen Zeitpunkt 58 Prozent der Bevölkerung an irgendeiner
Form von Persönlichkeitsstörung - es ist also normal, psychisch krank
zu sein.
Kaum besser ist es um den Körper bestellt. Beim Cholesterin etwa hat man
vor einigen Jahren in Deutschland die Grenzwerte so definiert, dass Menschen
mit "normalen" Werten in der Minderheit sind, jene mit "unnormalen"
Werten dagegen die Mehrheit stellen.
Wie kann das sein? Eine umfassende Studie an 100 000 Menschen in Bayern hat
einen Durchschnittswert von 260 Milligramm pro Deziliter Blut ergeben. Die Nationale
Cholesterin-Initiative, ein privater Interessenverbund von 13 Medizinprofessoren,
schlug im Jahr 1990 dennoch einen Grenzwert von nur 200 vor und konnte ihn tatsächlich
durchsetzen.
Die Mediziner der Cholesterin-Initiative repräsentierten Lobbyverbände,
darunter die industrienahe Deutsche Liga zur Bekämpfung des hohen Blutdrucks
und die Lipid-Liga sowie die Deutsche Gesellschaft für Laboratoriumsmedizin.
In einem "Strategie-Papier" forderten sie eine aggressive Ausweitung
der Diagnose: "Jeder Arzt sollte den Cholesterinwert seines Patienten kennen."
Durch das Dekret finanziell interessierter Mediziner wurde die Mehrheit der
Deutschen zu Risikopatienten erklärt. In der Gruppe der 30- bis 39-Jährigen
haben dem willkürlichen Grenzwert zufolge 68 Prozent der Männer und
56 Prozent der Frauen einen erhöhten Cholesterinwert. Bei den 50- bis 59-Jährigen
sind gar 84 Prozent der Männer und 93 Prozent der Frauen betroffen.
Die Beschäftigung mit dem Cholesterinwert ist heute ein weit verbreiteter
Zeitvertreib, an dem Ärzte und Firmen Beträge in Milliardenhöhe
verdienen. Der Bundesverband Niedergelassener Kardiologen, die Firma Unilever
(Margarine "Becel"), der Pharma-Konzern Pfizer und das Unternehmen
Roche Diagnostics betreiben regelmäßig "Gesundheitsinitiativen"
mit dem Ziel, Menschen dazu zu bringen, ihren Cholesterinwert testen zu lassen.
In einer Broschüre, die in Apotheken ausliegt, heißt es: "Ab
dem 30. Lebensjahr sollte jeder seinen Cholesterinspiegel kennen und alle zwei
Jahre kontrollieren lassen." Ein erhöhter Cholesterinspiegel sei "einer
der wichtigsten Risikofaktoren" für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die
"Neue Apotheken Illustrierte" bezeichnet Cholesterin als "Zeitbombe
für die Gesundheit".
Dabei ist die wachsartige Substanz ein lebenswichtiger Bestandteil des Körpers
und wird beispielsweise vom Gehirn in großen Mengen benötigt: Das
Denkorgan enthält besonders viel Cholesterin. Die meisten Körperzellen
können es selbst herstellen, wenn es in der Nahrung fehlt. Zum Glück
- denn ohne das so verteufelte Molekül würden die Zellen zu Grunde
gehen.
Und doch denken viele Menschen voller Furcht an den frühen Herztod, sobald
sie das Wort Cholesterin nur hören. Es vergällt vielen das Frühstücksei
und die Butter auf dem Brötchen und lässt sie nur noch mit Unbehagen
in die Wurst beißen.
Getrieben vom schlechten Gewissen, ließen allein im Jahr 2001 mehr als
eine Million Bundesbürger im Rahmen der "Gesundheitsinitiative"
ihren Cholesterinspiegel messen. Wie nicht anders zu erwarten, lagen mehr als
die Hälfte der Getesteten über dem willkürlich festgelegten Grenzwert
von 200 - sehr erfreulich für die beteiligten Ärzte und Firmen: Roche
Diagnostics stellt Geräte zum Cholesterinmessen her; die Kardiologen bekommen
neue Patienten, denen sie den Verzehr von Butter ausreden - was wiederum der
Margarinemarke Becel hilft; Pfizer schließlich setzt weltweit Milliarden
Euro mit Medikamenten um, die den Cholesterinspiegel senken.
Der in den volkserzieherischen Großprogrammen erweckte Eindruck, die Cholesterintheorie
sei eine gesicherte Erkenntnis der Medizin, täuscht. Viele Ärzte haben
erheblichen Zweifel daran, ob das Cholesterin tatsächlich die Schurkenrolle
spielt, die ihm im Drama Herzinfarkt zugewiesen wird. Schon als 1990 in Deutschland
der zweifelhafte Grenzwert von 200 ausgerufen wurde, gingen Experten wie der
Kardiologe Harald Klepzig von der Deutschen Herzstiftung in Frankfurt am Main
auf Distanz. Inmitten der Cholesterinhysterie sagte er: "Wir wären
glücklich, wenn eine einzige medizinische, kontrollierte Studie vorgelegt
werden könnte, die zeigen würde, dass Menschenleben durch die Senkung
von Cholesterin gerettet werden. Es fällt dagegen nicht schwer, zehn Studien
herauszusuchen, die zeigen, dass eine Senkung des Fettes eher sogar mit einer
höheren Sterblichkeit einhergeht."
Und Paul Rosch, Präsident des American Institute of Stress und Medizinprofessor
am New York Medical College, kommentiert: "Die Gehirnwäsche der Öffentlichkeit
hat so gut funktioniert, dass viele Leute glauben, je niedriger ihr Cholesterinwert
sei, desto gesünder seien sie oder desto länger würden sie leben.
Nichts ist weniger wahr als das."
Tatsächlich stützt sich die Behauptung vom bösen Cholesterin
keineswegs auf Beweise, sondern nur auf Indizien - und von denen halten viele
einer Überprüfung nicht stand. So veröffentlichte der Forscher
Ancel Keys von der University of Minnesota im Jahr 1953 einen Artikel, der zum
Gründungsmythos der Cholesterintheorie werden sollte. In seinem Aufsatz
zeigte er ein Diagramm, das eine klare Beziehung zwischen dem Verzehr von Fett
und der Sterblichkeit durch koronare Herzkrankheiten in sechs Ländern suggeriert.
"Die Kurve lässt kaum einen Zweifel am Zusammenhang zwischen dem Fettgehalt
der Nahrung und dem Risiko, an koronarer Herzkrankheit zu sterben", kommentierte
damals die Medizinzeitschrift "Lancet". So beeindruckend die Kurve
verläuft - sie hat einen gewaltigen Schönheitsfehler: Keys hatte nur
Daten aus 6 Ländern berücksichtigt - obwohl Zahlen aus insgesamt 22
Staaten vorlagen.
Wenn Keys "alle Länder einbezogen hätte, wäre nichts aus
der schönen Kurve geworden", sagt der Arzt Uffe Ravnskov aus dem schwedischen
Lund. "Die Sterblichkeit durch die koronare Herzkrankheit war in den USA
beispielsweise dreimal höher als in Norwegen, obwohl in beiden Ländern
annähernd gleich viel Fett verzehrt wurde."
Kritiker wie Ravnskov verneinen keinesfalls, dass ein Zusammenhang zwischen
Blutfetten und Koronarerkrankungen besteht. So leiden etwa 0,2 Prozent der Bevölkerung
an familiärer Hypercholesterinämie: Menschen mit dieser Erbkrankheit
haben zu wenige intakte oder gänzlich defekte Cholesterinrezeptoren. Das
Cholesterin kann deshalb kaum vom Blut in die Körperzellen transportiert
werden, so dass der Cholesterinspiegel steigt. Die Werte liegen bei 350 bis
1000 Milligramm pro Deziliter. Die Betroffenen haben ein extrem hohes Risiko,
früher als andere an Herzinfarkt zu sterben, weil sie häufig an einer
schweren Form der Arteriosklerose erkranken.
Allerdings ist fraglich, ob dieses Leiden mit der echten Arteriosklerose vergleichbar
ist. Autopsiestudien an Menschen, die an familiärer Hypercholesterinämie
litten, haben gezeigt, dass sich das Cholesterin nicht nur in den Gefäßen
ablagert, sondern überall im Körper. "Viele Organe sind regelrecht
von Cholesterin durchdrungen", sagt Ravnskov. Deshalb ist es ein Irrtum,
den Zusammenhang zwischen Cholesterin und Arteriosklerose auf Menschen mit normalem
Cholesterinspiegel zu übertragen.
Wenn der Arzt alte "Risikopatienten" dazu drängt, auf cholesterinarme
Lebensmittel umzustellen, so kann das für die Greise sogar gefährlich
werden. Die Ernährung von Betagten sei "ohnehin schon durch Zahnprothesen,
Verstopfung, Appetitmangel und Unverträglichkeit vieler Speisen beeinträchtigt",
warnt der amerikanische Arzt Bernard Lown.
Der Herzspezialist und Buchautor hat selbst erlebt, wie eine hochbetagte Frau
plötzlich abmagerte und verfiel, weil sie versuchte, ihren Cholesterin-
und auch Blutzuckerspiegel zu senken. Lown setzte dem bedrohlichen Unfug ein
Ende: "Ich empfahl ihr, alle diese ärztlichen Ratschläge zu ignorieren
und zu essen, was immer ihr Spaß machte. Innerhalb von sechs Monaten gewann
sie ihr ursprüngliches Gewicht und auch ihre vitale und positive Stimmung
wieder zurück."
Die Diagnose sei eine der häufigsten Krankheiten, spottete schon der Wiener
Satiriker Karl Kraus. Die Cholesterindebatte gibt ihm Recht - oder auch das
Beispiel der Osteoporose: Einst wurde von einer solchen nur dann gesprochen,
wenn das altersbedingte Schwinden der Knochenmasse tatsächlich zu einer
Fraktur geführt hatte. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts wurde
die Diagnose "Oberschenkelhalsbruch" im Jahr 1995 in Deutschland in
insgesamt 74 803 Fällen bei Menschen über 74 Jahren gestellt. Das
entspricht in dieser Altersgruppe einem relativen Anteil von 1,2 Prozent.
Diese Zahl, die in anderen Industriestaaten vergleichbar sein dürfte, reicht
für das Etikett Volkskrankheit nicht aus - deshalb musste die Osteoporose
völlig neu erfunden werden. Die Rorer Foundation sowie die Firmen Sandoz
Pharmaceuticals und SmithKline Beecham sponserten 1993 ein Treffen einer Kommission
der Weltgesundheitsorganisation (WHO), auf der genau dieser Schritt vollzogen
wurde. Bereits "der allmähliche Abbau der Knochenmasse im Alter",
so die heute gängige Definition, sei als Osteoporose anzusehen. Seither
hat die Pharma-Industrie die Möglichkeit, so ein deutscher Arzt, "die
Hälfte der Bevölkerung ab 40 Jahren bis ins hohe Alter mit Medikamenten
zu versorgen".
Um das neu definierte Leiden überhaupt diagnostizieren zu können,
bedarf es einer trickreichen Messung der Knochendichte, bei der sich die Ärzte
zu Nutze machen, dass ein Knochen umso mehr Röntgenstrahlen abschwächt,
je dichter er ist. Die Ergebnisse werden vom Computer ausgewertet und sodann
mit der Knochendichte eines 30 Jahre alten gesunden Menschen verglichen.
Das Verfahren stellt bei beinahe jedem älteren Menschen eine verringerte
Knochendichte fest - eben weil der Knochenschwund genauso Folge des Alterns
ist wie etwa faltige Haut.
Um trotzdem von einem pathologischen Vorgang sprechen zu können, musste
die WHO willkürliche Grenzwerte festsetzen. Eine Osteoporose liegt demnach
vor, wenn die Knochenmasse ungefähr 20 bis 35 Prozent unterhalb des Normwertes
liegt - oder mehr als 2,5 Standardabweichungen unter der Norm. Auf Geheiß
der WHO sind im Jahre 1993 ganze Bevölkerungsschichten plötzlich erkrankt:
31 Prozent der Frauen zwischen 70 und 79 Jahren leiden einer schwedischen Studie
zufolge seither an Osteoporose; von den Frauen über 80 gelten nun 36 Prozent
als knochenkrank - selbst wenn sie sich in ihrem langen Leben noch nie etwas
gebrochen haben.
Pharmazeutischen Unternehmen beschert die WHO-Definition Milliardenumsätze.
Eine Studie aus den USA ergab: Jede zweite Frau über 45 Jahre, bei der
die Knochendichtemessung eine Osteoporose anzeigt, lässt sich binnen eines
halben Jahres mit einschlägigen Präparaten behandeln.
Eine wissenschaftliche Begründung für ihre Entscheidung blieben die
WHO-Experten schuldig. Als der deutsche Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen
bei der WHO vor drei Jahren nachfragte, auf welchen Studienergebnissen der Beschluss
fußt, wollte oder konnte der zuständige Mitarbeiter keine Quellen
benennen.
Das ist kein Wunder: Der Nutzen der Knochendichtemessung für beschwerdefreie
Patientinnen ist nicht belegt. Zu diesem Schluss kamen - unabhängig voneinander
- deutsche, amerikanische und schwedische Studien. Die Experten des Büros
für Technikfolgenabschätzung der University of British Columbia im
kanadischen Vancouver haben einen 174 Seiten umfassenden Bericht zu der Frage
vorgelegt, ob das Diagnostizieren überhaupt etwas bringt. Ihr Fazit ist
eindeutig: Die wissenschaftliche Beweislage spreche "nicht dafür,
dass das Messen der Knochendichte bei gesunden Frauen in oder nahe der Menopause
geeignet ist, um Knochenbrüche in der Zukunft vorherzusagen".
Die Knochendichtemessung an beschwerdefreien Menschen wurde in Deutschland vor
kurzem aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherer gestrichen.
Den Elan der Ärzte hat das nicht gebremst: Nunmehr hoffen sie, dass die
älteren Menschen selbst für die nutzlose Diagnose blechen. Dazu verkaufen
sie die Knochendichtemessung als "individuelle Gesundheitsleistung"
(IGeL), die der Patient aus eigener Tasche bezahlen soll.
"Wer in der Praxis IGeLn will, braucht ein bisschen Gespür für
die 'Kaufbereitschaft' und die richtige Situation", rät die medizinische
Fachzeitschrift "MMW" ihren ärztlichen Lesern. Oft ergebe sich
die Gelegenheit aus dem Gespräch: "Die Dame in den Wechseljahren mit
ihren Osteoporose-Sorgen wird wahrscheinlich dankbar sein für den Hinweis
ihres Arztes auf die Osteoporose-Diagnostik und -vorbeugung in der Praxis."
Die Medikalisierung des Lebens hält das britische Nuffield Council on Bioethics,
ein elitärer Zirkel von 15 Philosophen, Ärzten und Wissenschaftlern,
für einen neuen Megatrend. Der weltweit geachtete Think- Tank warnte voriges
Jahr: "Eines der Probleme liegt in der diagnostischen Ausbreitung oder
der Tendenz, dass Störungen so breit definiert werden, dass mehr und mehr
Individuen im Netz der Diagnose gefangen werden."
Nicht nur die Gesetze des Markts fördern die Ausweitung
der Medizin. Sie vollzieht sich auch deshalb so rasch, weil der Heilkunde seit
Jahrzehnten kein Durchbruch gelungen ist. Wo aber Therapien gegen Geißeln
wie Krebs fehlschlagen, wo lukrative Pharma-Patente ablaufen, wo wütende
Forschungsanstrengungen (jeden Tag erscheinen etwa 5500 medizinische Artikel)
keine Durchbrüche bringen, da wenden sich Mediziner und Pharma-Forscher
den Gesunden zu.
Der im vorigen Jahr verstorbene Medizinhistoriker Roy Porter hielt die Medikalisierung
des Lebens für ein strukturelles Problem der westlichen Gesundheitssysteme
und Gesellschaften, weil in ihnen die bestmögliche medizinische Versorgung
als Grundrecht gilt. Es entstehe "ein gewaltiger Druck - erzeugt von Medizinern,
dem Geschäft mit der Medizin, Medien, aggressiv werbenden pharmazeutischen
Unternehmen und pflichtbewussten (oder anfälligen) Einzelpersonen -, die
Diagnose behandelbarer Krankheiten auszuweiten". Wie eine außer Kurs
geratene Rakete schraubten sich Ängste und Eingriffe immer höher.
Ärzte und Konsumenten erlägen zunehmend der Vorstellung, "dass
jeder irgendetwas hat, dass jeder und alles behandelt werden kann".
Da hilft alles Leugnen nicht. Denn selbst wer sich der ausufernden Gesundheitsindustrie
verweigert, offenbart damit nur, dass er ein Fall für sie ist: Etwa drei
Prozent der Bundesbürger, so hat die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie,
Psychotherapie und Nervenheilkunde entdeckt, gehen nur deshalb nicht zum Doktor,
weil sie krank sind: Sie leiden unter der "Blut-, Verletzungs-, Arzt- oder
Zahnarztphobie".
JÖRG BLECH