HELLINGER/FLIEGE: ERMITTLUNGEN EINGESTELLT
Fast eineinhalb Jahre hat die Staatsanwaltschaft München gegen den Begründer
der Familienaufstellung ''Bert'' (bürgerlich: Anton Johann) Hellinger und
den TV-Pastor Jürgen Fliege wegen Verstoßes gegen das Heilpraktikergesetz
ermittelt und das Verfahren nun eingestellt. Die Einstellung wirft aber mehr Fragen
auf, als sie beantwortet.
In der beanstandeten Fernsehaufzeichnung hatte Bert Hellinger eine Familienaufstellung
durchgeführt und sich dabei Personen aus dem Publikum bedient. Gesendet wurde
nur ein Teil der Aufzeichnung. Weder Hellinger noch Fliege besitzen eine Zulassung
als Heilpraktiker. Insofern wäre eine Strafbarkeit nach § 5 Heilpraktikergesetz
gegeben gewesen, wenn entweder eine nach § 1 Absatz 2 HPG definierte Heilhandlung
(...Feststellen, Lindern oder Heilen von Krankheiten, Leiden und Körperschäden)
objektiv vorlag oder die betroffenen Person dies subjektiv (Eindruckstheorie)
angenommen hätte.
Die AGPF hat hierzu veröffentlicht: ''Anmerkung: 'nach dem teleologisch zu
reduzierenden Tatbestand' bedeutet, dass der Sachverhalt nach dem Zweck des Gesetzes
zu beschränken ist. Die Einstellung bedeutet im übrigens keineswegs,
dass Hellingers Bühnen-Show generell nicht strafbar ist. Sie bedeutet lediglich,
dass die TV-Patienten nicht den Eindruck gehabt haben, dass eine Heilbehandlung
durchgeführt werden sollte. Wenn die Staatsanwaltschaft nicht von einer möglichen
Strafbarkeit ausgegangen wäre, hätte sie weder die TV-Patienten als
Zeugen gehört, noch ein Gutachten in Auftrag gegeben.''
Bei den von Hellinger inszenierten Bühnenshows geht es ja darum, daß
ein(e) Patient mit Beschwerden vorgesellt wird und die die Familienaufstellung
durchführenden Personen agieren (während die/der Patient(in) selbst
diesem Agieren zusieht). Erst nach dem Ergebnis der Aufstellung wird die/der Patient(in)
wieder aktiv einbezogen und erhält (psychische) Therapieanweisungen, die
sofort ausgeführt oder verweigert werden, worauf dann die/die Patient(in)
als geheilt oder als therapieresistent gilt.
Daß die in der Familienaufstellung agierenden Personen nicht gegen das Heilpraktikergesetz
verstoßen, liegt einzig darin begründet, daß hier die Eintrittsvoraussetzung
der ''berufsmäßigen Ausübung'' nach § 1 Abs. 1 HPG nicht
erfüllt ist; was auf Hellinger (und im konkreten Fall auf Fliege) natürlich
zutrifft.
Im vorliegenden Fall war die Staatsanwaltschaft insofern in Beweisnot, als erstens
die Heilhandlung selbst nicht nachzuweisen war (was bei Demonstrationsfällen
ohnedies nicht möglich ist, wenn es sich um einen simulierenden Schauspieler
handelt) und natürlich aus dem gleichen Grund auch nicht der subjektive Heileindruck.
Allerdings ist aus anderen Hellinger-Shows durchaus bekannt, daß es sich
um echte Patienten mit echten Problemen handelt und es dabei häufig zu durchaus
echten Komplikationen kommt.
Die etwas unglückliche Formulierung in der Einstellungsbegründung ''Die
verwaltungsrechtliche Frage, ob eine erlaubnispflichtige Tätigkeit im Sinne
von § l HeilpraktG vorliegt, wird durch diese strafrechtliche Beurteilung
nicht berührt.'' läßt jedoch keinen Zweifel daran, daß es
sich hier um eine Einzelfallentscheidung handelt und prinzipiell Familienaufstellungen
nach Hellinger unter den Heilvorbehalt nach § 1 Heilpraktikergesetz (unter
Berücksichtigung der Eindruckstheorie nach § 5) fallen. Unglücklich
ist die Formulierung deshalb, weil sie zu Spekulationen über die Rolle der
Verwaltungsbehörde geführt hat. Denn zur Beurteilung, ob eine erlaubnispflichtige
Tätigkeit im Sinne des § 1 HPG vorliegt oder nicht ist ausschließlich
die Strafverfolgungsbehörde zuständig und nicht die Verwaltungsbehörde.
§ 5 HPG normiert keine Ordnungswidrigkeit für den Fall der unerlaubten
Ausübung der Heilkunde (und daher auch keine Ermächtigung der Verwaltungsbehörde)
sondern nur einen Straftatbestand. Allerdings haben natürlich die Verwaltungsbehörden,
gestützt auf allgemeine Ordnungsbestimmungen, Gefahrenabwehr und Polizeiaufgabengesetze
Eingriffs- und Abwehrmöglichkeiten, die allerdings nur sehr bedingt mit §
1 HPG zu tun haben, obwohl immer wieder damit argumentiert wird (z.B. Piercing-Fälle).
Die Arbeitsgemeinschaft Biopraktik (AGBP) hat mit Richtlinienentwurf vom 10.9.2003
die Beteiligung von Biopraktikern an Familienaufstellungshandlungen nach Hellinger
untersagt und Heilpraktikern empfohlen, diese Therapieform nicht auszuüben.
Sie teilt damit die Bedenken einiger Fachverbände. So kommt die Deutsche
Gesellschaft für Systemische Therapie und Familientherapie (DGSF) zu dem
Schluss, die ''reale Praxis der Familienaufstellungen'' sei ''als kritisch, ethisch
nicht vertretbar und gefährlich für die Betroffenen zu beurteilen».
Die Systemische Gesellschaft, ebenfalls ein deutscher familientherapeutischer
Fachverband, wird noch deutlicher: ''Hellinger verunsichere seine Klienten, beeinflusse
sie suggestiv, verängstige sie und treibe sie in «einseitige Abhängigkeit''.
Und Raimund Dörr, Präsident des Schweizerischen Psychotherapeuten-Verbands
(SPV), meint: ''Das hat nichts mit Psychotherapie zu tun, das ist Ideologie''
In der Meinungsbildung der AGBP hat vor allem die Überlegung eine Rolle gespielt,
daß es sich hier um ein die Psyche beeinflussendes Verfahren handelt, das
zu einem Zwang der Einzelpersönlichkeit führt, sich Gruppenstrukturen
zu unterwerfen. Damit wird die grundlegend ablehnende Haltung der AGBP zu Gruppentherapien
in der Heilkunde und insbesondere in der Psychotherapie nochmals unterstrichen.
Die Zukunft des psychotherapeutisch arbeitenden Heilpraktikers liegt in der vertraulichen
Einzeltherapie als Alternative zur schulmedizinisch bevorzugten Gruppentherapie.
Gruppentherapiemaßnahmen sind nach Meinung der AGBP nur dann zu verantworten,
wenn psychisch gesunde Menschen Problemstellungen haben, sich in sozialen Strukturen
zurechtzufinden. Für den psychisch kranken Menschen geht es nicht darum,
ihn gegenüber der Gruppe zu entmündigen, sondern ihm Selbstbewußtsein
und Selbstvertrauen zu geben, sich später in eine Gruppe eigenverantwortlich
und sozial verhalten zu können.
Hier die von der AGPF veröffentlichte Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft:
Staatsanwaltschaft München I Linprunstraße 25, 80335 München München,
05.06.2003 Aktenzeichen: 123 Js 10556/02
AGPF-Aktion für Geistige und Psychische Freiheit Grabenstraße l 53579
Erpel
Ermittlungsverfahren gegen Anton Johann Hellinger, Jürgen Fliege
wegen Verstoßes gegen das Heilpraktikergesetz Strafanzeige vom 21.02.2002
Sehr geehrte Damen und Herren,
das Ermittlungsverfahren habe ich mit Verfügung vom 04.06.2003 gemäß
§ 170 Abs. 2 Strafprozeßordnung eingestellt.
Gründe:
Mit Schreiben vom 21.2.2002 erstattete der AGPF - Aktion für Geistige und
Psychische Freiheit, Bundesverband Sekten- und Psychomarktberatung e.V., bei der
Staatsanwaltschaft München I gegen die Beschuldigten HELLINGER und FLIEGE
im Zusammenhang mit einer ARD-Sendung vom 13.2.2002 Strafanzeige wegen des Verdachts
des Verstoßes gegen das Heilpraktikergesetz. Für die näheren Einzelheiten
wird auf das Anzeigenschreiben vom 21.2.2002 nebst Anlagen Bezug genommen (Bl.
1) .
Nach den durchgeführten Ermittlungen war das Verfahren gemäß §
170 Abs. 2 StPO einzustellen, da eine verfolgbare Straftat nicht nachzuweisen
ist.
Nach der in der Rechtsprechung entwickelten "Eindruckstheorie" zu §
5 Heilpraktigergesetz, wird für eine Strafbarkeit nach dem teleologisch zu
reduzierenden Tatbestand vorausgesetzt, dass im Zusammenhang mit dem Handeln eines
Verdächtigten vorsätzlich der Eindruck erweckt wird, dass die jeweilige
Handlungsform darauf abziele, Krankheit, Leiden oder Körperschäden zu
heilen oder zu lindern (vgl. BGHSt 8, 237; Dünisch, das Recht des Heilpraktikerberufs
und der nichtärztlichen Heilkundeausübung, Randnr. 6.6.1 ff. zu §
l HeilpraktG). Nach den durchgeführten Ermittlungen, insbesondere nach der
Einvernahme der zu Demonstrationszwecken bemühten Zuschauer in der Sendung
vom 13.2.2002 läßt sich die Erweckung eines solchen Eindrucks, wie
er von § 1 HeilpraktG vorausgesetzt werden würde, nicht mit der in strafrechtlicher
Hinsicht erforderlichen Gewißheit nachweisen. Auch nach dem Inhalt des im
Zusammenhang mit der Fernsehsendung durch die Staatsanwaltschaft München
I in Auftrag gegebenen Gutachtens des Instituts für Rechtsmedizin der Universität
München vom 18.12.2002 läßt sich ein entsprechender Nachweis,
wie er im Strafprozeßrecht positiv vorausgesetzt wird, für eine erlaubnispflichtige
Tätigkeit nicht führen.
Die verwaltungsrechtliche Frage, ob eine erlaubnispflichtige Tätigkeit im
Sinne von § l HeilpraktG vorliegt, wird durch diese strafrechtliche Beurteilung
nicht berührt.
Hochachtungsvoll gez. Steinkraus-Koch Staatsanwalt