WEGE AUS DER KRISE DES GESUNDHEITSWESENS

 

 

 

Von der "Schluckkultur"

zur Ganzheitsmedizin
 

 

 

 

 

 


 

 

 

 

 

Eine Gesundheitsrevolution ist notwendig, fordern Dr. Ellis Huber und Kurt Langbein. AuszŸge aus ihrem neuen Buch ãDie GesundheitsrevolutionÒ

 

 

 

Die Sachkundigen im Gesundheitssystem sind sich weitestgehend einig: Der Arzneimittelkonsum folgt irrationalen Mechanismen, und der Arzneimittel-Gebrauch hat sich zu einer ernsten Gefahr fŸr die Gesundheit der BŸrger entwickelt. Die Tablette ist neben dem Alkohol zur zweiten Gesellschaftsdroge geworden. Das Rezept ist in der Regel die Eintrittspforte fŸr die Krankheitserreger, namens Lexotanil, Adumbran, Tavor, Limbatril oder Tranxilium. Die Fachleute schþtzen die Zahl der TablettensŸchtigen in Deutschland auf 1,2 bis 1,5 Millionen. Mehr als 25 Prozent der Dialysepatienten sind Opfer eines fehlgeleiteten Schmerzmittelkonsums. Mehr Rationalitþt im Umgang mit Arzneien und eine andere Kultur des Arzneimittelgebrauchs stellen eine zentrale Reformperspektive dar, wenn die gegenwþrtige Krise des Gesundheitssystems bewþltigt werden soll.

Die Schluckkultur ist eine Systemkrankheit, die auch als solche gesehen und behandelt werden muss. Die Bedeutung von Arzneimitteln fŸr die Krankheitsbekþmpfung will niemand bestreiten. Es gibt jedoch Grenzen: Insbesondere dort, wo unspezifische, psychosomatische oder psychosoziale Befindlichkeitsstšrungen und chronisch-degenerative Krankheiten nur eine symptomatische Pharmakotherapie zulassen. Hier paart sich die Selbstverstþndlichkeit der Arzneimittelverordnung mit der allgemeinen Arzneimittelverordnung mit der allgemeinen Arzneimittelglþubigkeit in der Bevšlkerung. Die Heilkultur in Deutschland und …sterreich setzt BehandlungsbedŸrftigkeit gleich. Dass das nicht so sein muss, zeigen Beispiele aus anderen Lþndern. In Dþnemark oder Belgien etwa ist die Bevšlkerung darauf eingestellt, dass eine þrztliche Behandlung nicht unbedingt mit einem Rezept endet.

Der Arzt allein ist fŸr das Dilemma eines irrationalen Arzneimittel-Konsums nicht verantwortlich zu machen. Aber auch der BŸrger als Konsument ist nicht der einzige Schuldige. Die Verhþltnisse gleichen vielmehr einer VerrŸcktheit zu Zweit: Die Arzneimittelkrankheit wþchst auf dem Boden einer Beziehungsstšrung oder eines verdrþngten Beziehungskonfliktes, die zusþtzlich auf verfŸhrerische Rahmenbedingungen und besondere Nutznie§er treffen.

Arzt und Patient begegnen sich als Person. Beide unterliegen dabei einer leitbildbedingten Fortschrittsfalle: Was ist die richtige Medizin? Der Arzt will helfen, doch die tþgliche Praxis konfrontiert ihn mit psychischen, psychosomatischen und psychosozialen Problemen, fŸr die er keine schnelle Lšsung wei§. Sein naturwissenschaftlich orientierter Krankheitsbegriff versagt in der Mehrzahl seiner Fþlle. Das imponierende Gebþude der modernen Medizin interpretiert den menschlichen Kšrper nach dem Paradigma einer Maschine. Krankheit erscheint als eine Betriebsstšrung, die mit gezielten technischen Eingriffen chirurgischer oder medikamentšser Art repariert werden muss. Der Patient erwartet einen ãKšrper-T†VÒ samt Auswechslung von Ersatzteilen, falls sich dies als nštig erweist.

Arzt und Patient unterliegen dieser mþchtigen Ideologie der Industriekultur und einer Schulmedizin, die bei den meisten Problemen in der allgemeinþrztlichen Praxis aber nichts mehr taugt.

 

Die Gesundheitsrevolution.

Radikale Weg aus der Krise Ð

Was Patienten wissen mŸssen.

Aufbau-Verlag, Berlin 2004.

303 Seiten, 16,90 Euro.

 

Dort werden oft nur Symptome benannt und scheinbare Diagnosen mit einem Medikament beantwortet. Das Arzneimittel bestþtigt fŸr Arzt und Patient das Maschinenmodell und hilft beiden, die MŸhsal einer individuellen Verþnderung der Lebensverhþltnisse zu verdrþngen. Der Patient will vom Arzt eine sinnlich fassbare Hilfe und ist Ÿberzeugt davon, dass fŸr jedes Gesundheitsproblem auch ein geeignetes Mittel vorhanden sein mŸsse.

 

Hier paart sich die Selbstverstþndlichkeit der

 

Arzneimittelverordnung

 

mit der allgemeinen Arzneimittelglþubigkeit in der Bevšlkerung.

 

 

Der Arzt gerþt in einen Konflikt zwischen Anspruch und Realitþt, den er durch unspezifische Pharmakotherapie unterdrŸckt. Alternativen zum Medikament fehlen im Bewusstsein der Beteiligten. So vermittelt der Griff zum Rezeptblock den Eindruck, der Arzt habe auch das Problem im Griff, seine ãexakte DiagnoseÒ fŸhre unmittelbar zu einer schlŸssigen Therapie. Arzt und Patient sitzen also gemeinsam in ihrer Leitbildfalle.

 

Richtung Ganzheitsmedizin?

 

Es ist noch eine Minderheit, aber sie wþchst von Jahr zu Jahr. Immerhin rund ein Drittel der Allgemeinmediziner und rund ein FŸnftel der Fachþrzte gab in einer Umfrage der Zeitschrift ãBrigitteÒ im November 2003 an, bei der Diagnostik von Krankheiten auch nach den gesund erhaltenden Elementen in der Geschichte ihrer Patienten zu forschen und bei den Empfehlungen zur Lebensstilþnderung die BedŸrfnisse und Gewohnheiten der Menschen zumindest nicht zu ignorieren. Denn Regeln und Verbote haben sich als unwirksame Mittel der Beeinflussung des Verhaltens erwiesen. Nur wer an den Gewohnheiten und Vorlieben eines Menschen anknŸpft, hat Chancen auf eine gesundheitsfšrderliche Beeinflussung des Lebensstils.

Ganzheitsmedizinische Ansþtze sind auf dem Vormarsch ... Die Komplementþrmedizin ist inzwischen mehrheitsfþhig geworden. Gar schon 60 Prozent der niedergelassenen €rzte geben in Umfragen immer wieder an, auch nicht-schulmedizinische Heilmethoden anzuwenden. Sie verordnen Homšopathie, wenden Magnetresonanz oder die eine oder andere Variante der Physiotherapie an, geben schon mal Tipps fŸr BachblŸten. Die klassische Naturheilkunde findet ebenso Gefallen bei den Patienten, aber auch ostasiatische Heilkunde von Ayurveda Ÿber Tibetische Medizin bis zur traditionellen chinesischen Medizin mit ihrer Akupunktur erfreut sich gro§er Beliebtheit. Der gute alte Kneipp mit seinen fŸnf Sþulen Wasseranwendung, Entspannung und Bewegung, Ernþhrung, pflanzliche Arzneimittel und ãOrdnungstherapieÒ einer Art Anweisung fŸr gesunde LebensfŸhrung, ist bei einigen tausend Medizinern ebenfalls wieder Bestandteil der Therapie. Auch die anthroposophische Medizin wird inzwischen von 800 €rzten und drei hoch angesehenen Krankenhþusern angewendet.

Die Ansþtze sind unterschiedlich, die Motive wohl auch: Mancher Mediziner schielt wohl hauptsþchlich auf die zusþtzlichen EinkŸnfte, manches Verfahren muss auch als dubios bezeichnet werden.

 

Selbstgerechte Hohepriester der ãGanzheitsmedizinÒ kšnnen

 

fŸr die Gesundheit der Menschen ebenso nachteilig

 

sein wie arrogante Gurus der Schulmedizin.

 

Aber insgesamt meint diese Gruppe, von denen fast alle Vertreter die alternativen Ansþtze komplementþr, also in Ergþnzung zur Schulmedizin anwenden, der ganzheitliche Zugang zum Menschen und die Erkenntnisse, dass mit dem Schmalspurverstþndnis der Reparaturmedizin den Gesundheitsproblemen der modernen Industriestaaten keine sinnvolle Antwort gegeben werden kann.

Die meisten komplementþrmedizinischen Ansþtze versuchen, die Individualitþt der Menschen in ihren vielfþltigen Dimensionen zu erfassen und gesund erhaltende Komponenten aufzuspŸren und zu forcieren. Ob traditionelle europþische oder traditionell chinesische Medizin Ð es handelt sich um Denkmodelle ganzheitlicher Medizin, die seelische, soziale und spirituelle Aspekte menschlichen Lebens in den Therapieansatz einbeziehen und Krankheit nicht als Maschinenschaden verstehen. Sie suchen nach den krankmachenden Ungleichgewichten im Leben der Menschen und versuchen, Krankheit auch als Chance zu begreifen mit dem Ziel, den Menschen zu einem gesundheitsgerechteren leben trotz Beeintrþchtigungen zu verhelfen.

Inzwische ist dieses Feld der Angebote allerdings auch zu einem breiten Markt geworden, in dem ebenso dubiose Geschþfte gemacht werden. Im Rahmen der Esoterik-Bewegung werden auch dogmatische und entmŸndigende Heilslehren verbreitet, die ganz und gar nichts mit dem ganzheitlichen Ansatz zu tun haben. Die selbstgerechten Hohepriester der ãGanzheitsmedizinÒ kšnnen fŸr die Gesundheit der Menschen ebenso nachteilig sein wie die arroganten Gurus der Schulmedizin. Schlechte ãHeilerÒ erkennt man darin, dass sie Menschen abhþngig machen, sei es von Personen, Heilslehre oder Medikamenten. Gute Therapeuten machen sich tendenziell selbst ŸberflŸssig, aktivieren die Selbstheilungskrþfte der Menschen und arbeiten daran, dass die Menschen ihre Probleme selbstbestimmt und selbststþndig meistern kšnnen.

 

Aber die vernŸnftigen Stršmungen der Komplementþrmedizin bemŸhen sich inzwischen gemeinsam mit den wacheren Vertretern der Schulmedizin um die Entwicklung eines Instrumentariums, mit dem die verschiedenen Ansþtze auch rational zu evaluieren sind, um ihren Stellenwert in der Medizin der Zukunft benennen zu kšnnen.

 

Dr. Ellis Huber / Kurt Langbein