Informationsfreiheitsgesetz

Frankfurter Rundschau, 5. April 2004 Nr. 81

In der Regel gilt noch fast überall der Grundsatz, dass Informationen der Verwaltung nur im Ausnahmefall an Bürger weitergegeben werden. Die rot-grüne Regierung hatte in ihren Koalitionsverträgen versprochen, das zu ändern. Bislang hat sie nichts erreicht. Nun gibt es einen Vorschlag – von Bürger- und Berufsverbänden.

Wider den Obrigkeitsstaat

Der Entwurf für ein Informationsfreiheitsgesetz möchte den Bürgern mehr Transparenz in Bundesbehörden und Ministerialbürokratie garantieren


Unter „Informationsfreiheit“ versteht man das Prinzip, dass die Unterlagen und Daten öffentlicher Stellen im Regelfall für jeden Bürger zugänglich sind. Deutschland ist neben Luxemburg das letzte Land in der Europäischen Union, das diese Offenheit nicht praktiziert, sondern am obrigkeitsstaatlichen Prinzip des so genannten „Amtsgeheimnisses“ festhält: Bei uns gilt bisher der Grundsatz, dass Informationen der Verwaltung nur im Ausnahmefall an interessierte Bürger weitergegeben werden, z. B. wenn die Antragssteller Akteneinsicht in eigener Sache begehren. Ein Informationsfreiheitsgesetz würde dagegen einen Informationsanspruch für jeden schaffen – unabhängig von der direkten Betroffenheit und sogar ohne dass ein solcher Antrag begründet werden müsste. Das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) würde die Beweislast umkehren: Nicht mehr die Antragsteller müssten ihren Informationsanspruch begründen, sondern die Ämter oder Behörden müssten darlegen, warum sie im Ausnahmefall etwas nicht herausgeben können, weil z. B. der Datenschutz dem entgegensteht oder der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen.

Keine zusätzliche Bürokratie

Bisher wurden Informationsfreiheitsgesetze in den Bundesländern Brandenburg, Berlin, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen eingeführt. Die Erfahrungen dort zeigen, dass die meisten Bürger die Transparenzverpflichtung nutzen, um ganz nahe liegende Dinge aus ihrem Wohnumfeld oder Interessengebiet zu erfragen: So kann man per Akteneinsicht oder durch eine schriftliche Auskunft (Aktenkopien) z. B. in Erfahrung bringen, was die Brandschutzbegehung im Kindergarten um die Ecke ergeben hat, wie die jüngste Verkehrszählung ausgefallen ist, oder was bei der Lebensmittelkontrolle gefunden wurde. Die befürchtete „Antragsflut“ und zusätzliche Bürokratie, die die Gegner der Informationsfreiheit gerne ins Feld führen, ist nirgendwo eingetreten. Im Gegenteil: Das Mehr an Demokratie, das mit einer bürgernahen und offenen Verwaltung einhergeht, wurde mit dem IFG „günstig eingekauft“, so der Innenminister von Nordhein-Westfalen, Fritz Behrens, über die Praxiserfahrungen auf Länderebene.

Auf Bundesebene kommt der Versuch, ..............
voran: Obwohl dieses Reformprojekt in den Koalitionsverträgen von 1998 und 2002 enthalten ist, scheiterte schon die Vorlage eines abgestimmten Gesetzentwurfes an Widerständen aus der Ministerialbürokratie und der Wirtschaft.
Um die Debatte über Informationsfreiheit zu beleben, hat sich ein Bündnis von fünf Organisationen zusammengefunden, das einen eigenen Gesetzesvorschlag zur Diskussion stellt: Die Journalistenorganisationen Deutscher Journalistinnen- und Journalisten-Union in ver.di und netzwerk recherche sowie die Nichtregierungsorganisation Transparensy International und die Bürgerrechtsgruppe Humanistische Union präsentieren hiermit einen eigenen Vorschlag für ein modernes, bürgerfreundliches und weit .................
Wir sehen in einem solchen Gesetz einen wichtigen Schritt zur Stärkung der demo-kratischen Mitwirkungsrechte der Bürger. Außerdem bauen wir auf einen Kulturwan-del in Politik und Verwaltung, der durch dieses Gesetz angestoßen werden kann – hin zu mehr Transparens und Bürgernähe. Für Journalisten würde das IFG die Re-cherchemöglichkeiten verbessern, vor allem indem Originaldokumente eingesehen werden können. Ferner trägt die Informationsfreiheit zur Korruptionsprävention bei, wie sich in den Staaten gezeigt hat, die auf eine lange Tradition der Behördentransparenz zurückblicken können.

Wir halten es für überfällig, dass die deutsche Verwaltung endlich ihr obrigkeitsstaatliches Erbe hinter sich lässt und mehr Offenheit gegenüber den Bürgern wagt. Es geht .............
Schritt“, sondern letztlich nur darum, den Anschluss an längst erreichte Standards anderer westlicher Demokratien wiederzuerlangen.
Zentrale Punkte des Gesetzentwurfes∑ Öffentlichkeit von Informationen wird von der Ausnahme zur Regel: Bisher gilt in Deutschland das Prinzip des Amtsgeheimnisses. Danach haben Behördeninformationen internen Charakter, sofern sie nicht auf Grund besonderer Regelungen zugänglich sind. Durch das Informationsfreiheitsgesetz wird die Öffentlichkeit von Informationen bei staatlichen Stellen zur Regel und die Verweiterung des Zugangs zu Informationen die begründungsbedürftige Ausnahme. Diese Öffentlichkeit macht die Verwaltungstransparenter und beugt Korruption vor.

∑ Weit gefasster Anspruch auf Zugang zu Informationen: Zu diesem Zweck wird ein weit gefasster Anspruch auf Zugang zu Informationen konstituiert. Jeder Person und Organisation steht dieser Anspruch als subjektives Recht zu. Der Nachweis eines Interesses oder sonst eine Begründung des Anspruches ist nicht erforderlich

∑ Weit gefasster Anwendungsbereich des Gesetzes: Die Verpflichtung, Zugang zu Informationen zu gewährleisten, trifft alle öffentlichen Stellen des Bundes einschließlich solcher Privater, auf die der Bund Einfluss nehmen kann. Ausgenommen sind nur der Bundestag als Gesetzgeber sowie die Gerichte und sonstige Stellen, die in richterlicher Unabhängigkeit handeln.

∑ Eng gefasste Ausnahmenklauseln: Der erforderliche Schutz gewisser öffentlicher Interessen und privater Rechte wird gewährleistet. Regelungstechnisch wird der – international verankert – Ansatz der „eng begrenzten, genau bestimmten“ Ausnahmen zu Grunde gelegt. Das höchste Schutzniveau gilt für personenbezogene Informationen. Auch Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse werden einschließlich der Rechte am geisti..................... lungstätigkeiten von Polizei und Ordnungskräften sowie ein Kernbereich des behördlichen Entscheidungsprozesses behalten einen angemessenen Schutz. Das Informationsfreiheitsrecht vermittelt vor allem einen Rechtsanspruch des Bürgers gegenüber dem Staat. Entsprechend sind die Ausnahmeklauseln zum Schutz öffentlicher Interessen besonders eng gefasst.

∑ Einfache, aber strenge Verfahrensregelungen: Ohne strenge Verfahrensre-gelungen kann ein Informationszugangsrecht nicht wirksam werden. Der Ge-setzentwurf trifft solche Regelungen in knapper und auch für die Allgemeinheit verständlicher Form. Es gelten enge Fristen für den Informationszugang. Antragsteller haben die Wahl hinsichtlich der form des Informationszugangs (Auskunft, Einsicht in Unterlagen, Überlassung von Kopien). Bei teilweiser Unzugänglichkeit von Informationen müssen Restinformationen zugänglich bleiben.

∑ Keine Kostenbarriere: Die Kosten für den Informationszugang werden bewusst niedrig angesetzt. Erstattet werden muss höchstens der Materialaufwand, nicht der Arbeitsaufwand öffentlicher Stellen.

∑ Wegbereitung für die Informationsgesellschaft: Der Gesetzentwurf trägt der steigenden Nutzung elektronischer Medien, insbesondere des Internets, Rechnung. Als Anreiz, die Verwaltung auf die Informationsgesellschaft vorzu-bereiten, sieht der Gesetzentwurf vor, dass individuelle Auskunftspflichten staatlicher Stellen entfallen, wenn diese auf einschlägige Veröffentlichungen im Internet verweisen können. Der Gesetzentwurf beschreibt außerdem einen Kernbestand an Informationen, die im Internet veröffentlicht werden müssen.
Mindeststandard definiert

∑ Anpassung der Vorschriften über den Rechtsschutz: Das gerichtliche Verfah-ren im Streit um den Zugang zu Informationen weist viele Eigenheiten auf, die eine Anpassung des geltenden Rechtsschutzsystems erforderlich machen. Der Gesetzentwurf verfolgt eine „mittlere“ Linie: Ergänzend zum gerichtlichen Rechtsschutz erhält der Bundesbeauftragte für Datenschutz die Rechte und Pflichten eines Informationsfreiheitsbeauftragten. Erfahrungen in anderen Bundesländern haben gezeigt, dass dies nicht nur die Gerichte entlastet, sondern in hohem Maße dazu beiträgt, den betroffenen Bürgern rasch und unbürokratisch zu ihrem Recht zu verhelfen. Die Verwaltungsgerichtsordnung wird angepasst, damit Prozesse um Informationszugangsrechte zügig und kostengünstig durchgeführt werden können. Insbesondere wird .................... die öffentliche Stelle auf einen Antrag nicht rechtzeitig reagiert.

∑ Verhältnis zu anderen Informationszugangsrechten: Das Gesetz definiert ei-nen Mindeststandard der Zugänglichkeit von Informationen. Andere Gesetze können einen weitergehenden Informationszugang erlauben, einschränken dürfen sie ihn nicht.

AUTOREN

Der Entwurf für ein Informationsfreiheitsgesetz wurde vorgelegt von:
netzwerk recherche (nr)
c/o Dr. Thomas Leif
Marcobrunnerstraße 6
65197 Wiesbaden
Tel.: 0611/495151
Fax: 0611/495152
info@netzwerkrecherche.de
www.netzwerkrecherche.de

Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di
Bundesgeschäftsstelle
Potsdamer Platz 10
10785 Berlin
Tel.: 030/69562322
Fax: 0303/6956357
dju@verdi.de
www.dju.verdi.de

Deutscher Journalisten-Verband (DJV)
Bennerauerstraße 60
53115 Bonn
Tel.: 0228/20172-0
Fax: 0228/20172-33
djv@djv.de
www.djv.de


Humanistische Union e.V.

Greifswalder Straße 4
10405 Berlin
Tel.: 030/20450256
Fax: 030/20450257
info@humanistische-union.de
www.humanistische-union.de

Transparency International
Deutsches Chapter e.V.
Alte Schönhauser Str. 44
10119 Berlin
Tel.: 030/549898 – 0
Fax: 030/549898-22
office@transparency.de
www.transparency.deFachautor: Rechtsanwalt Dr. Wilhelm Mecklenburg
Der komplette Gesetzentwurf ist im Internet zu finden unter:
www.humanistische-union.de